Das Jahr 2018 ist bald Geschichte. Eine Gelegenheit, über die Rolle der Schweiz in Europa und der hochkomplizierten globalisierten Welt zu sprechen. Die Schweiz brauche etwas Zeit und sollte Fieberschübe vermeiden, sagt Rudolf Strahm unter anderem zum umstrittenen Rahmenabkommen mit der EU.
SRF News: Welchen Spielraum hat die Schweiz im globalen Powerplay?
Rudolf Strahm: Bei aller Vorsicht, historische Urteile zu fällen – wir sind wahrscheinlich in einer Zeit des Umbruchs. Eine Weltmacht ersetzt die andere. Die Schweiz ist mittendrin. Nicht als Akteur und Player, aber irgendwie haben wir uns immer behauptet, indem wir regulatorische Nischen ausgenützt haben. Da haben wir noch immer Spielraum.
Geht es der Schweiz heute so gut, weil sie durch und durch protektionistisch ist?
Wir sind beides: Die Schweiz ist weltoffen, handels- und finanzpolitisch extrem vernetzt. Mehr vernetzt mit der Welt als Grossmächte und auch als die EU. Extrem protektionistisch sind wir in der Landwirtschaft und der Nahrungsmittelproduktion.
Wir sind an der Spitze der innovativen Länder. Dank einer Mischung aus Top-Wissenschaft und Top-Fachkräften und dank dem Berufsbildungssystem.
Bisher ist es gelungen, sich durchzuwursteln zwischen regulatorischen Lücken. Allerdings auch mit einem hohen Preis, wenn man an die Milliardenbussen der Banken denkt. Entgegen der Niedergangsdrohungen vor 26 Jahren vor und nach der EWR-Abstimmung hat sich die Wirtschaft aber als extrem exportfähig, produktiv und vernetzt erwiesen und den hohen Wohlstand bewahren können.
Wie will die Schweiz als «Innovationsweltmeisterin» konkurrenzfähig bleiben?
Wir sind an der Spitze der innovativen Länder. Dank einer Mischung aus Top-Wissenschaft und Top-Fachkräften und dank dem Berufsbildungssystem. Viele Grossmächte haben Ingenieure und Akademiker. Aber nicht alle haben Fachkräfte, die das rasch in marktfähige Produkte umsetzen können. Ich glaube, dass die Konkurrenzfähigkeit erhalten bleiben kann. Qualitätsarbeit, Nischenproduktion und Spezialisierung sind trotz hoher Löhne möglich.
Doch Chinesen kaufen unsere Firmen und unser Know-how. Was sagen Sie zum Freihandelsabkommen mit China?
Schweizer in China und diplomatische Vertreter sagten mir, dass man vom Freihandelsabkommen bisher nichts gewonnen hat. Wir sehen eher, dass die Chinesen traditionelle Industrieperlen wie die Syngenta aufkaufen. Zu denken ist auch an SR Technics und Swissport. Unsere Wirtschaft hat nicht gleiche Rechte in China, trotz des Abkommens. Doch das Problem geht tiefer und über die Kritik an China hinaus.
Auch die EU steht intern unter Druck und wird sich verändern. Wir brauchen etwas Zeit und auch etwas Gelassenheit.
Konzerne sind auch aus hausgemachten Fehlern zum Spielball geworden. Dazu gehört das hyperliberale Aktienrecht: Kürzlich verkaufte ABB ihre grösste traditionelle Industriesparte an einen japanischen Konzern, getrieben von einem kleineren Aktionär. Sulzer, Saurer, Oerlikon, Schmolz + Bickenbach gehören einem russischen Oligarchen. Selbst Nestlé ist heute unter Druck eines amerikanischen Hedge Funds mit wenigen Prozenten Anteil.
Jetzt droht mit der EU als wichtigstem Handelspartner ein Scheitern beim Rahmenabkommen. Was macht die Schweiz dann?
Es geht darum, jetzt Zeit zu gewinnen. Der Bundesrat muss in jedem Bereich einen Plan B entwickeln. Wenn wir durch Sanktionen oder kurzfristiges Piesacken unter Druck geraten, muss man reagieren können. Auch die EU steht intern unter Druck und wird sich verändern. Wir brauchen etwas Zeit und auch etwas Gelassenheit. Wir müssen wissen, dass wir uns arrangieren müssen. Aber wir müssen uns nicht mit diesem kurzfristigen Vertragsentwurf auf Fieberschübe einlassen.
Das Gespräch führte Samuel Wyss.