Es ging Schlag auf Schlag. Als der Bundesrat 16. März die Schliessung aller Geschäfte ausser in den lebensnotwendigen Bereichen verordnete, zogen hunderttausende Büro-Arbeitskräfte ins Homeoffice. Für viele war es das erste Mal.
«Zuerst habe ich mich gewehrt», sagt Willem Baumann. Der Werber arbeitet bei der Agentur Contexta. «Es musste schnell gehen. Ich habe den Computer nach Hause genommen, einen Tisch eingerichtet, Skype gestartet und los ging es.» Die Umstellung funktioniere aber erstaunlich gut, so Baumann.
Eine SRF-Umfrage unter grossen Schweizer Unternehmen zeigt die Dimensionen des Homeoffice. Drei Beispiele: Bei der Versicherung Zurich arbeiten momentan 95 Prozent von zu Hause aus, bei der Swisscom 90 Prozent und sogar bei der Novartis sind es 80 Prozent.
«Vor der Krise arbeiteten nur etwas mehr als 10 Prozent der Arbeitstätigen in der Schweiz mehrheitlich von zu Hause aus», sagt Fachhochschuldozent Marc K. Peter. Er hat das Phänomen Homeoffice schon vor der Krise untersucht.
Die Krise als Chance
«Jetzt könnte durchaus Druck von den Mitarbeitenden kommen, auch in Zukunft mehr zu Hause zu arbeiten», ist Marc K. Peter überzeugt. Aber auch für die Unternehmungen ergäben sich Chancen: «Brauchen wir noch so viel Bürofläche? Braucht es all die ineffizienten Team-Meetings noch, bei denen heute alle dabei sein müssen?»
Die Chefin im Homeoffice: Gabriela Länger ist Mitglied der Geschäftsleitung bei der Postfinance und verantwortet unter anderem das Personal. Innerhalb von wenigen Tagen hat die Postfinance fast 3000 Mitarbeitende nach Hause geschickt. «Ein Kraftakt», betont sie. «Wir haben gezwungenermassen einen Digitalisierungsschub mitgemacht», sagt sie. «Aber davon werden wir nun profitieren.» Sie hätten zum Beispiel für über 70 Personen eine Kaderveranstaltung kurzfristig online ansetzen müssen. Das Resultat sei eine neue Telekonferenz-Plattform: «Die steht uns nun jederzeit zur Verfügung.»
Nicht ohne Risiken
«Ich arbeite mehr als vorher», sagt Willem Baumann. Im Homeoffice falle es ihm schwerer, Arbeit und Freizeit voneinander zu trennen: «Der Weg ins ‹Büro› beträgt nun nur noch wenige Meter.»
«Die Risiken des Homeoffice sind nicht zu unterschätzen», sagt auch Marc K. Peter. Isolation, Kontakte nur noch virtuell und die Familiensituation – etwa wenn gleichzeitig auch Kinder betreut werden müssten – könne belastend sein. Und: Manch ein Arbeitgeber überwache die Angestellten stärker als im Büro. «Es ist problemlos möglich, lückenlos zu verfolgen, was am Firmenlaptop gearbeitet wird», sagt Peter. Das werfe grosse Fragen zum Persönlichkeitsschutz und zur Kontrolle auf.
Grosses Potenzial
«In Zukunft werden mehr also ‹doppelt› so viele regelmässig zu Hause arbeiten», schätzt der Forscher. Das biete grosses Potenzial, etwa für abgelegenere Gegenden. Ausserdem würde weniger gependelt, was auch für die Umwelt Vorteile bieten würde.
Trotz all dem: Werber Baumann freut sich, bald wieder ins Büro gehen zu können: «Ich vermisse im Homeoffice den Arbeitsweg», sagt er. «Die Zeit im Tram oder auf dem Velo hilft mir, den Tag mental vorzubereiten, oder am Abend abzuschalten.»
Auch wenn nach dem Ende der ausserordentlichen Lage nicht mehr gefühlt die ganze Schweiz zu Hause arbeiten wird, ist klar: Homeoffice hat sich mit der Krise definitiv etabliert.