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Digitale Aussteiger «Ohne Handy ist man weniger fremdbestimmt»

Leben ohne Smartphone? Ja, es gibt sie: Menschen, die bewusst ohne Handy leben. Ein Medienpsychologe spricht über die Gründe, weshalb Jugendliche darauf verzichten und «10vor10» hat einen digitalen Aussteiger begleitet.

Die heute 12- bis 19-Jährigen sind als Digital Natives mit Internet und Mobiltelefon aufgewachsen. Praktisch jeder hat ein Smartphone. Damit wird immer weniger bloss telefoniert, sondern auch Musik gehört und kommuniziert: beliebteste Social-Media-Plattformen sind Whatsapp, Instagram, Snapchat, Youtube und Facebook. Und eine Uhr oder ein Wecker ist das Handy auch.

Die Zeit, in denen Kids online sind, ist in den vergangenen Jahren stetig gestiegen: Durchschnittlich zweieinhalb Stunden sind Kids heute online – unter der Woche. Samstag und Sonntag sind es drei Stunden und 40 Minuten.

Doch es gibt auch Jugendliche, die sich dem Mainstream nicht fügen und Handy-abstinent leben.

Wer das ist, und warum sie sich dem für andere Altersgenossen so unverzichtbaren Handy verweigern, dazu haben wir den Medienpsychologen Gregor Waller befragt.

SRF News: 99 Prozent der Schweizer Jugendlichen haben ein Handy, die meisten davon ein Smartphone. Gregor Waller, gibt es überhaupt Jugendliche, die nicht permanent online sind?

Gregor Waller: Es gibt sie tatsächlich noch, die 12- bis 19-Jährigen, die kein Handy haben. Es sind allerdings sehr wenige, nur gerade ein Prozent. Das sind bei unseren Befragungen jeweils zehn von tausend Fällen.

Wer sind diese Jugendlichen?

Jugend und Internet

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Seit 2010 stellt die JAMES-Studie (Jugend, Aktivitäten, Medien-Erhebung Schweiz) des Instituts für Medienpsychologie an der ZHAW den Medienumgang von Jugendlichen in der Schweiz dar. Für die alle zwei Jahre erscheinenende, repräsentative Studie werden über 1000 Jugendliche im Alter von 12 bis 19 Jahren aus den drei grossen Sprachregionen befragt.

Da es eine geringe Fallzahl ist, sind Aussagen schwierig. Klar ist: Es sind vor allem Buben, vorwiegend im Alter von 14 Jahren und Untergymnasiasten. Alle sind Schweizer. Man kann deshalb davon ausgehen, dass es ein bewusster Entscheid ist, ohne Mobiltelefon auszukommen.

Warum verweigern sich diese Jugendlichen dem Handy?

Auch hier kann ich nur Thesen aufstellen. Ein wichtiger Grund ist sicher, dass man weniger fremdbestimmt ist ohne Handy. Zudem wird nicht dauernd unterbrochen, man hat mehr Zeit für sich selbst. Ausserdem können sich Jugendliche mit dieser Abstinenz vom Mainstream abgrenzen. Nach dem Motto: «Ich bin anders als die anderen». Und mehr Zeit zu haben, ist heutzutage sicher auch eine Art Statussymbol.

Ist es auch Charaktersache?

Persönlichkeitseigenschaften spielen sicher auch eine Rolle. Es handelt sich wohl eher um introvertierte Menschen, solche, die weniger Kontakte suchen oder brauchen und lieber weniger, aber dafür «echte» Freunde haben. Dann ist ein Handy auch nicht so wichtig, denn man kann diese Kontakte auch über andere Kanäle oder im persönlichen Austausch pflegen.

Warum sind es mehr Buben als Mädchen? Hängt das damit zusammen, dass Jungs mehr gamen und Mädchen mehr auf Social Media sind?

Das hat sicher einen Einfluss. Mädchen sind in diesem Alter kontaktfreudiger.

Gamen die Jungs einfach woanders?

Die zehn Fälle, die wir ermittelt haben, zeigen, dass Handyverweigerer gerne und oft lesen und nicht unbedingt gamen.

Vielleicht verbieten die Eltern das Handy?

Ich glaube nicht, dass sich ein Elternhaus heutzutage wehrt, wenn ein Oberstufenschüler ein Handy will. Denn Handylosigkeit könnte ja auch negative Folgen haben. Das Kind könnte von seinem sozialen Umfeld ausgegrenzt werden. Und das wollen Eltern sicher nicht. Ausserdem erhalten Kinder in Krisen via Handy auch soziale Unterstützung von Gleichaltrigen und in brenzligen Situationen kann schneller Hilfe herbeigerufen werden.

Wie lange halten die Jugendlichen diese Abstinenz aus?

Das hängt von der Persönlichkeit ab. Manche halten das lange durch. Andere merken plötzlich, dass ihnen diese Verbindung zu ihrem sozialen Netzwerk doch fehlt.

Das Gespräch führte Claudia Blangetti.

Daniel Hellmann, 30 Jahre, Handy-Abstinenzler – ein Porträt

Er hat ganz auf das Handy verzichtet: Der 30-jährige Daniel Hellmann hat das Gerät vor zwei Jahren entsorgt. Wenn er mit der Bahn pendelt, sind die anderen Passagiere mit ihren Laptops und Smartphones beschäftigt.

Daniel dagegen nicht. Er hänge lieber seinen Gedanken nach. «Ich bilde mir ein, ganz gut einfach mal nur zu sein und nicht immer etwas machen zu müssen.»

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«So viel Energie, die verpufft»
Aus News-Clip vom 08.11.2017.
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Seit einem halben Jahr macht Daniel eine Lehre als Landschaftsgärtner. Etwas mit den Händen machen, tue ihm gut. Ganz bei der Sache sein, das ist ihm wichtig. Auch deshalb hat er das Handy weggelegt.

«Das Kopfkino, das aufgrund einer SMS läuft und die ganzen Geschichten, die man sich ausmalt: ‹Wie meint er das, wie meint sie das, wie sag ich das?› – das ist so viel Energie, die einfach verpufft.»

Es gibt auch Probleme

Weniger Ablenkung – mehr Leben. Das ist Daniels Credo. Schafft aber auch Probleme. Denn ein Mitarbeiter ohne Handy, der nicht permanent erreichbar ist, bedeutet für den Chef, dass er besser planen muss.

Daniels Chef ist Roland Lohrer. Bewunderung und Ärger halten sich bei ihm die Waage: «Ich bewundere ihn ein bisschen. Es hat aber schon Fälle gegeben, wo es mühsam gewesen ist und ich ihn gerne erreicht hätte. Wenn er beispielsweise selber mit dem Auto unterwegs gewesen ist und ihm noch etwas habe sagen wollen. Das hat mich schon ein bisschen genervt.»

Ich geniesse die Unabhängigkeit.
Autor: Daniel Hellemann

Die Fixierung aufs Handy hat Daniel zunehmend gestört. Und auch, dass er sein Selbstbild immer mehr über Telefonaktivitäten definierte. Wer hat was geschrieben, wer ist in welchem Chat. Mit dem Handy hat Daniel auch ein Stück weit die Kontrolle bewusst aus der Hand gegeben. Genau das sei befreiend.

«Ich geniesse die Unabhängigkeit.» So schaue man nicht mehr auf die App, um zu wissen wie das Wetter ist. Man schaue einfach aus dem Fenster.

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«Das Handy hat mich nie sozialer gemacht»
Aus News-Clip vom 08.11.2017.
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Er vermisse das Handy nicht, sagt er. Allerdings dauere manches länger, etwa der Kontakt mit öffentlichen Ämtern. «Wenn ich am Abend heim komme, dann haben die Büros alle schon zu. Das ist das einzige, was ich manchmal mühsam finde. Per Briefverkehr lässt sich das aber lösen.»

Brief statt SMS für die Freundin

Daniel hat sein Leben entschleunigt. Das musste auch seine Freundin Marina erfahren. Die Naturheilärztin staunte nicht schlecht, als plötzlich Funkstille herrschte.

«Ich habe mir überlegt, was sein könnte, wieso ich nichts mehr höre. Dann habe ich einen Brief erhalten. Daniel schrieb, dass er das Handy weggeworfen habe. So mussten wir halt per Brief kommunizieren, als wir noch nicht zusammen wohnten.»

Wird es für Daniel da nicht schwerer, Freundschaften zu pflegen? «Nein. Das Handy hat mich nie sozialer gemacht», erklärt Daniel. Früher mit Handy habe er auch mal keine Antwort gegeben oder verspätet. Organisatorische Dinge habe er manchmal verschlafen. «Wenn ich jetzt mal etwas organisiere, dann mache ich es viel seriöser», sagt er.

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