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Diplomatische Dokumente Einblick ins Bundesarchiv: So positionierte sich die Schweiz 1990

Neu freigegebene Dokumente aus dem Bundesarchiv zeigen einen frischen Blick auf die schweizerische Diplomatie 1990.

1990 – Europa ist im Umbruch – und die Schweiz? Die muss ihre Position in Europa neu finden. Sacha Zala, Titular-Professor für Schweizer und allgemeine neuste Geschichte an der Universität Bern und Direktor von Dodis, der Forschungsstelle diplomatische Dokumente der Schweiz, sagt dazu: «1990 ist ein magisches Jahr: Es markiert den Beginn der Ära nach dem Kalten Krieg.»

Bilddokumente aus dem Jahr 1990

Zala und sein Team forschen hauptsächlich im Schweizerischen Bundesarchiv zur Zeitgeschichte und haben soeben den ersten Band einer neuen, der dritten Edition zur schweizerischen Aussenpolitik veröffentlicht mit dem Thema «Die Schweiz nach dem Ende des Kalten Krieges» – alles mit Dokumenten aus dem Jahr 1990.

Eine alte Aktennotiz von Thomas Borer

Auf dem Cover des Bandes: Das Foto des damaligen Bundespräsidenten Arnold Koller, wie er am 21. November 1990 für die Schweiz die Charta von Paris der KSZE, der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa – unterschreibt: «Das Bild ist sehr stark: Die Schweiz ratifiziert erstens das Ende des Kalten Krieges.» Und zweitens beginnt damit in der Schweiz unter anderem die Diskussion über Sinn und Zweck der schweizerischen Neutralitätspolitik.

Sacha Zala hat dazu in den Akten eine Entdeckung gemacht: «Es gibt eine Aktennotiz des jungen Diplomaten Thomas Borer. Er macht eine Art Thesenpapier zur Neutralität. Für die alte Garde ist die fast zu unorthodox.»

Dies, weil Thomas Borer es wagt, die bisherige, offiziell rein militärisch definierte Neutralität zu reflektieren. Borers Papier wird zwar immerhin dem Departementsvorsteher vorgelegt, verschwindet dann aber schnell wieder in einer Schublade: zu heikel.

Bundesrats-Protokolle aus dem Jahre 1990

Der Blick in die neu veröffentlichten Akten aus dem Jahr 1990 zeigt: «Das sind viele Themen, die uns heute noch beschäftigen», so Sacha Zala.

1990 beginnt die Planung der NEAT – der Bahntunnel am Gotthard und am Lötschberg, 1990 wird die Klimaerwärmung Thema in der Schweizer Politik. Und: 1990 werden auch die Verhandlungen geführt für den vorgesehenen Beitritt der Schweiz 1992 zum EWR. Sacha Zala öffnet eines der dicken Dossiers mit den Akten dazu. In den Bundesrats-Protokollen sei sogar ersichtlich, dass gewisse Bundesräte für den Abbruch der Beziehungen waren.

Nähe zu Europa ist 30 Jahre später noch ein Thema

Wie kann die Schweiz wirtschaftlich teilnehmen, integriert sein in diesem neuen Europa – und wo muss sie Konzessionen machen bezüglich ihrer Souveränität? Auch 30 Jahre später ist diese Diskussion hochaktuell – Stichwort: Rahmenabkommen.

Es ist die Aufgabe der Forschungsstelle Dodis, aus all diesen unzähligen Dossiers im Bundesarchiv nach dem Ende der 30-jährigen Sperrfrist die relevantesten zu finden und für die Nachwelt aufzubereiten – aus diesen unzähligen Papieren – Protokollen von Bundesratssitzungen und Verwaltungsdokumenten die grossen Linien zu ziehen und manchmal auch neue historische Zugänge zu finden: «Wir kommen in ein dunkles Zimmer und machen mit einer Kerze Licht. Damit geben wir Impulse für weitere Forschungen», beschreibt Zala die Arbeit der Dodis.

Dodis – die diplomatischen Dokumente der Schweiz

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Die Forschungsstelle Dodis ist das unabhängige Kompetenzzentrum für die Geschichte der schweizerischen Aussenpolitik und der internationalen Beziehungen der Schweiz seit der Gründung des Bundesstaates 1848. In diesem Rahmen betreibt Dodis Grundlagenforschung zur Zeitgeschichte.

Nach zwei Editionen zur Schweiz nach der Gründung des Bundesstaates und ihrer Rolle im Kalten Krieg startet Dodis nun eine dritte Edition. Fokus: Die Schweiz nach dem Ende des Kalten Krieges. Der erste Band ist soeben erschienen und widmet sich dem Jahr 1990. Für die nächsten Jahre sind im Jahresrhythmus weitere Bände zur Schweizer Geschichte nach dem Ende des Kalten Krieges geplant, um die jeweils neusten Dokumente der Zeitgeschichte nach dem Ende der 30-jährigen Sperrfrist einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

Mehr als eine Million Dokumente sichten die 10 Forscherinnen und Forscher pro Jahr, 62 davon wurden soeben im neusten Band publiziert, weitere 1500 pro Jahr finden sich im Internet. Für die nächsten Jahre sind im Jahresrhythmus weitere Bände zur Schweizer Geschichte nach dem Ende des Kalten Krieges geplant, um die jeweils neusten Dokumente der Zeitgeschichte einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

SRF 4 News, Echo der Zeit, 03.01.2021

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