Jahrzehntelang hat der Berner Hans Mäder als Mechaniker und Chauffeur gearbeitet. Trotzdem muss der 89-Jährige jeden Franken umdrehen und ist auf Ergänzungsleistungen (EL) zu AHV-Rente angewiesen – wie viele Seniorinnen und Senioren in der Schweiz. Sonst reicht das Geld nicht.
Ich bin in meinem Studio vögeliwohl.
Mäder ist für sein Alter noch fit und braucht kaum Pflege. Seit 20 Monaten wohnt der Witwer im Alterssitz Neuhaus Aaretal in Münsingen BE. Dort lebt er in einem kleinen Studio mit Kochnische. Gut 1200 Franken zahlt er für sein Zimmer, welches an das Pflegeheim angeschlossen ist. «Ich bin hier vögeliwohl», so der Rentner. Wenn er ein Problem hat, erhält er so rasch Hilfe.
Tausende Franken weniger wegen «WG»-Definition
Seine Freude ist aber arg getrübt: Denn die Ausgleichskasse des Kantons Bern hat ihm die Beiträge an seine Alterswohnung jüngst von einem Monat auf den anderen massiv gekürzt. Begründung: Bei der Wohnung handle es sich um eine Wohngemeinschaft.
Das sei in einem Video auf der Webseite und auf Flyern der Altersresidenz so angegeben. In der Tat spricht eine Seniorin in einem Video von einer WG.
Für Wohngemeinschaften seien laut Gesetz tiefere EL-Beiträge vorgeschrieben, schreibt die Ausgleichskasse: «Wir haben keinen Ermessensspielraum.» Man könne nicht von den geltenden Regelungen abweichen.
Pro Monat erhält Hans Mäder jetzt hunderte Franken weniger Ergänzungsleistungen an die AHV. Sein Altersstudio kann der pensionierte Büezer darum nicht mehr bezahlen. Als Notlösung springen seine Töchter ein und übernehmen die Differenz. «Das ‹plaget mi gruusig›. Es fühlt sich an, ob wir Alte jetzt einfach sterben sollten», so Mäder.
Heim appelliert an gesunden Menschenverstand
Auch die Heimleiterin ist verärgert: Die Studios seien eigens für Leute gebaut worden, die Ergänzungsleistungen beziehen, sagt Marie-Louise Jordi, Geschäftsführerin Alterssitz Neuhaus Aaretal AG. Weil die Wohnungen über eine Mini-Küche verfügten, seien sie eben keine WG-Zimmer. Die Versicherung sieht dies jedoch anders.
Der 89-jährige Rentner muss sich jetzt eine neue Wohnung suchen, die Definition seiner Wohnform wird ihm zum Verhängnis. Der Kanton Bern schreibt auf Anfrage, er sei nicht zuständig. Darum könne man sich zum Fall nicht äussern.
Wenn die Betroffenen in ein Pflegeheim zügeln, kostet dies fünfmal so viel.
So oder so ist klar: Dank solcher Wohnungen könnten die Leute so lange wie möglich selbstständig wohnen. Das sei am günstigsten für die Betroffenen, aber auch für die Versicherung und die Gesellschaft. «Es geht um gesunden Menschenverstand. Wenn die Betroffenen in ein Pflegeheim zügeln, kostet dies fünfmal so viel – wird aber von der EL übernommen», so Heimleiterin Jordi weiter.
Die Ausgleichskasse des Kantons Bern wiederum verweist auf einen Entscheid des Bundesrates, dass Leute in Alters-WGs (Cluster-Wohnungen) von Gesetzes wegen weniger Geld erhalten.
Es kann nicht sein, dass sich nur Reiche diese Wohnform leisten können.
Der Fall von Hans Mäder sei kein Einzelfall, erklärt Heimleiterin Jordi weiter. Einem weiteren Bewohner seien die Leistungen gekürzt worden. «Solche Fälle kommen immer wieder vor, wir erhalten sehr viele Anfragen», sagt Marcel Schenk, Geschäftsleiter von Pro Senectute Kanton Bern. Denn solche Wohnformen seien ideal für Leute, die noch nicht ins Heim müssten. Aber gewisse Unterstützung benötigten.
«Es kann nicht sein, dass sich nur Reiche diese Wohnform leisten können», sagt Schenk weiter. Darum müsse man rasch gesetzliche Grundlagen schaffen, die eine Finanzierung von Alters-WGs ermöglichten. Es gebe bekanntlich immer mehr alte Leute, die Plätze in den Pflegeheimen würden schon darum nicht ausreichen.
Hans Mäder und seine Töchter wollen nicht warten: Sie wollen mit einer Anwältin oder einem Anwalt weiterkämpfen, damit er wieder höhere Beiträge für sein Studio erhält.