In der Stadt Zürich könnte schon bald ein Grundeinkommen eingeführt werden, allerdings erstmal als Pilotversuch. Das fordert ein Komitee aus SP, FDP, GLP und Juso-Politikern. Sie wollen untersuchen, was ein monatliches Grundeinkommen in der Bevölkerung und bei den Menschen auslöst und haben dafür eine Volksinitiative auf Stadtebene lanciert.
Das Experiment wäre ein Novum. Denn bisher sind in der Schweiz alle Versuche, das bedingungslose Grundeinkommen zu testen, gescheitert. 2018 versuchte die Aargauer Filmemacherin Rebecca Panian in der Zürcher Gemeinde Rheinau das bedingungslose Grundeinkommen zu testen, jedoch erfolglos. Es fehlte das Geld.
Wie die Stadt den Pilotversuch durchführen soll, wollen die Initianten der Stadt überlassen. So bleibt zum Beispiel unklar, wie hoch das Einkommen sein wird und deshalb auch, wie viel das Experiment kosten würde. Es soll aber nicht unter dem sozialen Existenzminimum liegen. Klar ist auch, dass die Stadt Zürich das Experiment bezahlen, und dass mindestens 500 Personen daran teilnehmen sollen.
Stadtrat und Ökonomen sind skeptisch
Der Stadtrat hatte sich im Rahmen einer Online-Petition erst kürzlich klar gegen die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens ausgesprochen. Er schrieb in seiner Antwort: «Ein bedingungsloses Grundeinkommen wäre auch unter den veränderten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen nicht zweckmässig.» Die Initianten hatten sich für ein Grundeinkommen während Corona eingesetzt.
Skeptisch gegenüber solchen Experimenten ist nicht nur der Stadtrat, sondern auch der Ökonom Thomas Straubhaar. Der Schweizer ist an der Universität Hamburg Professor für internationale Wirtschaftsbeziehungen und schreibt seit Jahren über das bedingungslose Grundeinkommen.
Menschen verhalten sich anders, wenn sie wissen, dass sie Teil eines Experiments sind.
Die Menschen würden sich aber nicht nur anders verhalten, wenn sie Teil eines Experiments seien, sondern sie würden sich auch anders verhalten, weil die Experimente begrenzt seien, so Straubhaar. «Weil die Teilnehmer wissen, dass sie das Geld nicht bis ans Ende ihres Lebens erhalten, hat ein bedingungsloses Grundeinkommen in diesem Rahmen eher den Effekt eines Lottogewinns.»
Auch in Deutschland, wo Thomas Straubhaar lebt und doziert, soll das bedingungslose Grundeinkommen getestet werden. Im Frühjahr 2021 soll ein Pilotversuch starten, bei dem 120 Teilnehmer über drei Jahre monatlich 1200 Euro erhalten sollen, ohne Gegenleistung und unabhängig von ihrer wirtschaftlichen Situation.
Mit dem Experiment möchte der Berliner Verein «Mein Grundeinkommen» zusammen mit Wirtschafts- und Sozialforschern über drei Jahre hinweg beobachten, welche Wirkung es hat, wenn man Bürgern ein bedingungsloses Grundeinkommen zahlt. Finanziert wird das Experiment durch Spenden.
Wird die Idee salonfähig?
Die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens war bis jetzt vor allem eine theoretische. Es fehlen wissenschaftliche Fakten und Erfahrungswerte. Die Corona-Krise gibt der Diskussion jedoch neuen Aufwind und Befürworter wollen den fruchtbaren Boden nutzen, um Erfahrungswerte und Argumente zu sammeln.
Dass das Thema des bedingungslosen Grundeinkommens in Zeiten wieder auf den Tisch kommt, in denen Menschen um ihre Jobs, teilweise um ihre Existenz bangen, überrascht Thomas Straubhaar nicht. Er selbst treibt die Diskussion über das bedingungslose Grundeinkommen immer wieder an, stimmte 2016 jedoch Nein bei der Volksinitiative für ein bedingungsloses Grundeinkommen.
Obwohl die Existenzängste die Diskussion über die Idee wieder auf den Tisch bringen, glaubt Straubhaar nicht, dass sie damit plötzlich mehrheitsfähig geworden ist. Er glaubt aber, dass die Diskussion trotzdem wichtig ist. «Schlussendlich geht es um die Frage, wie wollen wir in Zukunft als Gesellschaft leben.»
Junge und Frauen interessieren sich für das Thema
«Mir fällt bei meinen Vorträgen immer wieder auf, dass sich vor allem Junge und Frauen für das Thema interessieren», so erzählt Straubhaar. Ihnen sei bewusst, dass der heutige Sozialstaat nicht für sie gemacht sei. Straubhaar spricht damit das Rentensystem und die Automatisierung an, die vielen Jungen Angst macht.
Junge und Frauen interessieren sich vor allem für das Thema. Sie wissen haargenau, dass der heutige Sozialstaat vor allem für ältere, weisse Männer gemacht ist.
Die wieder aufflammende Diskussion über das bedingungslose Grundeinkommen habe nicht nur mit Corona zu tun, sondern mit den Zukunftsängsten von vielen Frauen und Jungen. «Wir müssen diese Ängste ernst nehmen», so der Schweizer Wirtschaftsprofessor, und «diese als Anlass nehmen, um darüber zu reden, wie wir in Zukunft als Gesellschaft leben wollen».
Obwohl Thomas Straubhaar in der Diskussion vor allem die Chance sieht über eine neue Gesellschafts- und Sozialstaatsform zu sprechen, ist ein neuer Anlauf der Befürworter für eine zweite Volksinitiative nicht auszuschliessen. Wenn nicht jetzt, wann dann, ist bei einigen Befürwortern zu hören.
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