Ein 17-jähriges Mädchen bringt sich um. Mobbing, sexuelle Belästigung, Lügen und Intrigen – insgesamt sind es 13 Gründe, die Hannah Baker in den Suizid treiben. Entsprechend heisst die Fernseh-Serie des amerikanischen Streamingdienstes Netflix: «13 reasons why».
Die Serie schlägt seit der ersten Staffel im Jahr 2017 hohe Wellen und wird scharf kritisiert: sie zeige den Suizid als Lösung von persönlichen Problemen und verleite zur Nachahmung.
Suizidversuch unmittelbar nach Schauen der Serie
Recherchen von «10vor10» und SRF Data zeigen, dass in der Jugendpsychiatrie der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich um die 40 Fälle von suizidalen Jugendlichen bekannt sind, bei denen die Netflix-Serie im Rahmen der notfallmässigen Abklärungen ein Thema war. Dagmar Pauli, Chefärztin der Kinder- und Jugendpsychiatrie der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich, bestätigt diese Zahlen.
Netflix stellt Gewinnstreben über die Gesundheit der Menschen.
«Das sind zum Teil haarsträubende Fälle: Ein Mädchen erzählte uns, dass sie sich noch nie im Leben so verstanden gefühlt hatte wie beim Schauen der Serie. Unmittelbar danach verübte sie einen Suizidversuch», erklärt Dagmar Pauli. Und: «Wir hatten mehrere Mädchen einer Klasse, die sich wegen der Serie in eine gefährliche Situation hineinsteigerten. Schliesslich mussten wir sie wegen akuter Selbstgefährdung notfallmässig behandeln.»
Netflix zeigt den Suizid der Hauptdarstellerin explizit und detailliert. Für Dagmar Pauli ist das gefährlich und unverantwortlich: «Es gibt mehrere Studien, die zeigen, dass die glorifizierende und ausführliche Darstellung von einem Suizid in den Medien die Suizidrate erhöht. Netflix stellt Gewinnstreben über die Gesundheit der Menschen.»
«Die Serie enttabuisiert das Thema Suizid»
Kritik an der Serie übt auch Anne Edan. Sie ist Assistenzärztin des Universitätsspitals Genf und betreut die Suizidpräventions- und Therapiestelle Malatavie. Auch hier wurden Jugendliche betreut, die wegen der Serie suizidgefährdet waren.
«Für Jugendliche in einer labilen Situation ist die Serie gefährlich. Deshalb sollten sie die Serie auf keinen Fall alleine schauen.» Trotz der Kritik ist für Anne Edan klar, dass die Serie einen präventiven Effekt hat: «Die Serie trägt viel dazu bei, dass über das Thema Suizid gesprochen wird, und was die Folgen einer schweren Krise sein können. Das ist sehr wichtig und kann helfen.»
Auch in den USA wird die Serie scharf kritisiert. Inzwischen reagierte Netflix und weist zu Beginn der Serie darauf hin, dass die Serie heikle Themen anspricht «wie Drogenmissbrauch oder Suizid». Eine Schauspielerin der Serie ergänzt diese Angaben im Vorspann mit einem Warnhinweis: «Falls du selbst von solchen Problemen betroffen bist, ist das vielleicht nicht das Richtige für dich.»
Unkritische Netflix-Studie
Netflix gab zudem eine Studie in Auftrag, die untersuchen sollte, wie Jugendliche auf die Serie reagieren. Die Studie kommt zu einem durchwegs positiven Ergebnis: Die Serie helfe Jugendlichen, über schwierige Themen zu sprechen und fördere die Empathie.
Netflix publizierte im Frühling 2018 eine entsprechende Medienmitteilung. Brian Wright, Vizepräsident von Netflix Original Series, hält darin fest: «Die Studienergebnisse legen nahe, dass die Mehrheit der Eltern der Meinung war, die Serie würde wichtige Themen ansprechen.»
Allerdings: Keine der formulierten Studienfragen untersuchte, ob die Serie die Suizidgefahr erhöht. «Die Studie ist völlig unkritisch, weil sie nur positive Fragen stellt und die wichtigste Frage nach der Suizidgefahr ignoriert. Es ist eine Frechheit, dass Netflix sie als Entlastung zitiert», sagt Dagmar Pauli.