Möglichst rasch viele Auffrischungsimpfungen verabreichen – das haben Gesundheitsminister Alain Berset und Lukas Engelberger als Präsident der kantonalen Gesundheitsdirektoren am Montagmorgen betont. Warum die Schweiz weiter sein könnte, es aber nicht ist, erklärt SRF-Wissenschaftsredaktorin Katrin Zöfel.
SRF News: In unserer subjektiven Wahrnehmung stecken sich in der Schweiz derzeit auch vermehrt wieder doppelt Geimpfte mit dem Coronavirus an: Ist das auch objektiv so?
In der Schweiz wird nur erfasst, wie viele Menschen mit einem Impfdurchbruch ins Spital kommen. Wer in einem Testzentrum oder beim Hausarzt positiv getestet wird, der wird aktuell weder standardmässig nach seinem Impfstatus gefragt, noch wird dieser Impfdurchbruch irgendwo zentral erfasst oder gezählt. Das ist seit Anfang Oktober so. Das heisst, ich kann diese Frage für die Schweiz nicht wirklich beantworten.
Was man aber aus Antikörper-Studien und aus Beobachtungen unter anderem in Israel und Deutschland weiss, ist, dass der Schutz vor Infektion und Erkrankung mit der Zeit tatsächlich nachlässt. Gleichzeitig trägt die Infektionsdynamik mit den hohen Fallzahlen dazu bei, dass es zu mehr Impfdurchbrüchen kommt. Da überlagern sich mehrere Effekte.
Heisst das, es würde helfen, nicht erst nach sechs Monaten das dritte Mal zu impfen, sondern schon früher, wie das andere Länder machen?
Es gibt Berechnungen, dass wenn 50 Prozent der Bevölkerung geboostert wären, dies einen spürbaren Einfluss auf die Infektionsdynamik hätte. Und ganz klar: Wenn man diese 50 Prozent schnell erreichen will, macht es Sinn, die sechs Monate nicht einzuhalten.
Viele fragen sich, warum die Schweiz beim Boostern, also bei der dritten Impfung nicht schneller vorwärts macht – haben Sie eine Erklärung?
Die Schweiz ist vergleichsweise langsam unterwegs, ja, aber ganz allein ist sie damit nicht. Auch Deutschland hat relativ langsam angefangen, da gibt es nun viel Kritik an der Impfkommission. Es hat sicher etwas mit der Rolle von Impfkommissionen zu tun. Sie sind normalerweise dafür da, genau aufzupassen, extra viele Daten einzufordern und allenfalls auch mal noch ein paar Wochen zuzuwarten, bis es noch einmal weitere Daten aus Studien oder Erfahrungswerte aus anderen Ländern gibt.
Erst dann ziehen sie ihr Fazit und empfehlen wirklich nur Impfstoffe, bei denen man sich zu 100 Prozent sicher ist, dass sie viel bringen und dass sie sicher sind. In einer Situation wie jetzt, wo die Fallzahlen steigen und manche die Booster gerne sofort in der Hand hätten, um die Welle zu bremsen, wirkt das vielleicht deplatziert, aber im Grunde machen diese Kommissionen einfach ihre Arbeit.
Anders agiert Grossbritannien, wo nun alle bis Ende Jahr geboostert sein sollen, mit einem Impfabstand von drei Monaten statt wie bei uns sechs. Israel hat noch viel früher geboostert. Handeln diese Länder leichtsinnig?
Nein, einfach mutiger und stärker mit Blick auf die akute Situation der Infektionsdynamik. Die Daten reichen inzwischen längst aus, um zu sagen: Doch, die Booster nützen, und ja, man kann sie auch früher geben, und ja sie sind sicher. In Grossbritannien hat man ja schon wiederholt mutiger entschieden, setzt stärker auch auf Erfahrungswerte und geht eher auch Risiken ein. Sie entscheiden dort schon, wenn sie «genug» wissen, nicht erst dann, wenn sie etwas absolut sicher wissen.
Das Gespräch führte Brigitte Kramer.