SRF News: Wäre die Auslieferung an die Türkei aus Ihrer Sicht ein Verstoss gegen das Völkerrecht?
Oliver Diggelmann: Das ist sehr gut möglich. Im Völkerrecht gibt es das Refoulement-Verbot. Wenn in der Türkei ernsthaft mit Folter oder einer anderen sehr schweren Menschenrechtsverletzung gerechnet werden muss, würde dieses Verbot gebrochen. Die Türkei hat nach dem gescheiterten Putsch im Juli 2016 den Ausnahmezustand verhängt. Ein Strafverfahren wegen «Separatismus» für weiter zurückliegende Taten könnte als Vorwand genutzt werden, um einen politischen Gegner aus dem Verkehr zu ziehen.
Gilt der Status als anerkannter Flüchtling ausschliesslich für die Schweiz?
Kroatien ist nicht an die Schweizer Beurteilung der Flüchtlingseigenschaft gebunden. Kroatien ist aber ebenfalls verpflichtet zu überprüfen, ob die Voraussetzungen für die Anerkennung als Flüchtling gegeben sind. Wenn Kroatien in seinen eigenen Entscheiden nicht darauf eingeht, dass die Person von der Schweiz als Flüchtling anerkannt wurde, ist dies rein formal möglicherweise nicht zu beanstanden. Es wirft aber Fragen hinsichtlich der Seriosität der Abklärung in Kroatien auf.
Welche Möglichkeiten hätte die Schweiz von offizieller Seite um eine Auslieferung zu verhindern?
Das Aussenministerium könnte auf diplomatischem Weg auf Abweisen des Auslieferungsgesuches drängen. Deutschland ist kürzlich erfolgreich so vorgegangen, als einem türkischen Schriftsteller und von Deutschland anerkannten Flüchtling, während seiner Ferien in Spanien die Auslieferung in die Türkei drohte. Zudem hätte das EDA die Möglichkeit, eine Warnung an Interpol abzugeben. Hat eine Behörde den Eindruck, mit einem Haftbefehl werde gegen Regimegegner vorgegangen, so kann sie einen Hinweis abgeben. Die Schweiz könnte mit einer solchen Warnung bewirken, dass Kroatien bei der Prüfung des türkischen Haftbefehls zu besonderer Vorsicht verpflichtet ist.
Kann die Türkei das internationale Auslieferungsrecht zur Bekämpfung politischer Gegner missbrauchen?
Die Türkei und Kroatien sind zur Auslieferung verpflichtet, sofern es sich um eine in beiden Ländern Straftat handelt und für die Tat eine Strafe von mindestens einem Jahr angedroht wird. Doch hier greift die Ausnahme, weil in diesem Fall ernsthaft mit politischer Verfolgung zu rechnen ist. Kroatien ist damit nicht verpflichtet auszuliefern. Das Auslieferungsrecht will Missbrauch genau in solchen Fällen verhindern. Das Auslieferungsrecht ist nicht das Problem. Es liegt an den Staaten, ihre Spielräume zur Nichtauslieferung in Missbrauchsfällen auch zu nutzen.