Wie ist die aktuelle Lage im von einem Felssturz bedrohten Bergdorf Brienz/Brinzauls? Wie die Gemeinde am Donnerstagabend (25. Mai) mitteilte, ist die Sicherheitslage nach wie vor angespannt. Die Sicherheit für einen Besuch kann darum nicht sichergestellt werden. In den vergangenen Tagen hatten die Behörden den Evakuierten zunächst ein Besuch des Dorfes unter Auflagen am Donnerstag in Aussicht gestellt. Nebel hatte den Messgeräten aber die Sicht auf den Hang eingeschränkt. Nun wurde auch der Besuch am Freitag abgesagt. Wie die Gemeinde in einer Mitteilung schreibt, hätten die Geologen und Naturgefahrenexperten erkannt, dass die Bewegungen am Berg «seit Kurzem markant vom Prognosemodell abweichen.»
Insgesamt bewegt sich ein Felsvolumen von zwei Millionen Kubikmetern über dem Dorf Brienz (GR) sehr stark. Die Behörden rechneten damit, dass die Phase Blau in den nächsten Tagen bis Wochen starten könnte. Die Vorbereitung darauf laufen. Der Gemeindeführungsstab Albula wird mehrmals täglich von Geologen über die neusten Messdaten informiert.
Am 12. Mai hat die Gemeinde die Phase Rot ausgerufen. Das Betreten des ganzen gefährdeten Gebietes ist seither verboten. Zudem gilt eine Flugverbotszone.
Wer musste das Dorf verlassen? Der Gemeindeführungsstab stellte in einem letzten Rundgang durchs Dorf sicher, dass alle 84 Einwohnerinnen und Einwohner weg sind. «Es ist niemand mehr im Dorf», bestätigte der Kommunikationsverantwortliche der Gemeinde Albula/Alvra, Christian Gartmann, auf Anfrage der Nachrichtenagentur Keystone-SDA am Freitagabend. Auch alle Tiere, darunter das Grossvieh, wurden in Sicherheit gebracht.
Wo ist die Bevölkerung in nächster Zeit untergebracht? Christian Gartmann bestätigte gegenüber der Nachrichtenagentur Keystone-SDA, dass für alle 84 Einwohnerinnen und Einwohner eine Unterkunft gefunden worden sei. Der Gemeinde seien über 130 Wohnungen angeboten worden. «Wir haben die passendsten Angebote herausgesucht und die Parteien vermittelt», so Gartmann.
Was sind die möglichen Szenarien am Hang? Gemäss Simon Löw, emeritierter Professor für Ingenieurgeologie der ETH Zürich und Berater der Regierung Graubündens, können dank präziser Messungen genaue Aussagen zur zeitlichen Entwicklung gemacht werden. Was aber in den nächsten Tagen genau passieren werde, sei im Detail schwierig vorhersagbar. «Möglich ist, dass sich der Hang einfach laufend noch schneller bewegt und sich daraus eine Art Fliessen entwickelt.» Eine weitere Möglichkeit sei, dass es viele kleinere Felsstürze gebe. Im extremsten, eher unwahrscheinlichen Fall, könne es einen Bergsturz geben, bei dem grosse Gesteinsmassen innert 30 Sekunden mit einer Geschwindigkeit von 100 bis 200 Kilometern pro Stunde den Hang hinab donnerten und das Dorf zerstören.
Ist der Klimawandel für die Gefährdung von Brienz verantwortlich? Nein, sagt Experte Löw. Denn: «In Brienz gibt es keinen Permafrost, der auftaut. Auch gibt es keinen Zusammenhang zwischen den jährlichen Niederschlägen und der Rutschgeschwindigkeit des Hangs. Die Instabilität des Hangs in Brienz hat also nichts mit dem Klimawandel zu tun.» Das sei ein Unterschied zu vielen anderen instabilen Gebieten in den Alpen, in denen der auftauende Permafrost die Hauptursache sei.