Cécile Bühlmann war schon 1991 dabei, als die Frauen zum ersten Mal auf die Strasse gingen. Die ehemalige Nationalrätin, Bundesratskandidatin und langjährige Fraktions-Chefin der Grünen hat den Frauenstreik im vergangenen Jahr mit Freude beobachtet.
«Es ist wie ein Revival unserer Forderungen», sagt sie, die selber noch für das Frauenstimmrecht kämpfen musste. Zwar seien viele der frühen Forderungen der Frauenbewegung inzwischen in Gesetzen aufgenommen worden – etwa mit der Revision des Eherechts, der Fristenregelung zum Schwangerschaftsabbruch, der Mutterschaftsversicherung oder mit dem Gleichstellungsgesetz. Doch dann sei man auf halbem Weg stecken geblieben – und das merkten die jungen Frauen von heute.
Etwa beim Lohn: Trotz des Gleichstellungsgesetzes von 1995 sei man heute noch lange nicht am Ziel. Auch bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie, oder bei der Gewalt an Frauen. «Wenn man daran denkt, wie wenige Übergriffe überhaupt zur Anzeige kommen und wie wenige Täter dann auch verurteilt werden, zeigt sich: Da liegt noch ein riesiger Weg vor uns, bis es aufhört – oder wenn es geschieht, bis den Frauen Gerechtigkeit widerfährt», sagt Bühlmann.
Gefördert von der globalen Diskussion um «Metoo», hätten darum die Frauen in der Schweiz mit geballter Kraft auf den Tisch gehauen. «Ich finde es wahnsinnig toll, dass junge Frauen jetzt diese Themen aufgreifen und da weitermachen, wo meine Generation angefangen hat und dass wir jetzt zusammen diese Geschichte weiterführen. Sich engagieren und sagen: Das genügt uns nicht.»
Koalitionen und Druck
Wie 2019 folgten auch 1991 auf den Frauenstreik im Juni die Wahlen im Herbst. Damals erhöhte sich der Frauenanteil leicht von 14.5 auf 17.5 Prozent. Cécile Bühlmann war eine der 6 neuen von insgesamt 35 Nationalrätinnen. Koalitionen für sogenannte Frauen-Anliegen über die Parteigrenzen hinweg seien aber keine Selbstverständlichkeit, sagt Bühlmann heute. «Man darf sich nicht zu grosse Illusionen machen. Ich habe in meiner Zeit nur selten erlebt, dass alle Frauen gemeinsam für ein Anliegen einstanden – etwa bei der Mutterschaftsversicherung, das war eine Sternstunde.»
2019 erhöhte sich der Frauenanteil im Nationalrat auf über 40 Prozent. Doch Bühlmann mahnt, es brauche immer noch Mehrheiten. Aber auch unabhängig davon könnten Frauen Druck aufbauen. «Sie können die Gleichstellung zum absolut prioritären Thema auf der politischen Agenda machen, um das man einfach nicht mehr herumkommt. Mit geballter Frauenpower wird im Parlament in puncto geschlechterspezifische Anliegen noch die Post abgehen, da bin ich überzeugt.»
Kämpferisches 2020
Die Frauen, die am letztjährigen Frauenstreik auf die Strasse gingen, dürften nun nicht denken, sie hätten mit der Frauenwahl im Herbst ihre Forderungen ans Parlament delegiert. Es brauche weiterhin den Druck der Strasse – gerade auch, weil die Mühlen der Politik langsam mahlten.
«Die Parlamentarierinnen brauchen den Rückenwind der Strasse und müssen wissen, dass ganz viele zuschauen, was getan wird.» Die Frauenbewegung auf der Strasse und die Frauenbewegung im Parlament müssten sich gegenseitig ergänzen. «Zusammen können sie eine riesige Kraft entwickeln.» Für die grüne Vorkämpferin ist damit klar: Locker lassen sei keine Option – trotz den Erfolgen des vergangenen Jahres.