Das Wichtigste in Kürze:
- Auch in diesem Herbst machen Callcenter Jagd auf neue Krankenkassen-Kunden.
- Im «Kassensturz» packt ein Insider aus: Mittlerweile gibt es Callcenter in der Türkei, in Marokko, in Tunesien und so weiter. Sie rufen in die Schweiz an, ködern die Kundschaft mit falschen Versprechen, lügen und täuschen falsche Telefonnummern vor.
- Die Spuren des Auftraggebers führen zu einer Maklerfirma in Allschwil.
- Die Schweizer Krankenkassen distanzieren sich von diesen Akquisitionsmethoden.
«Wir überreden, wir tricksen und wir versuchen alles Mögliche um einen Termin zu bekommen», erzählt ein Insider gegenüber «Kassensturz». Der Insider war lange Zeit Call-Agent. Oftmals hätten sie den Kunden am Telefon Unwahrheiten erzählt.
«Es wird am Telefon gelogen»
Tatsächlich: «Kassensturz» liegen interne Dokumente von einem Callcenter vor. Unter anderem ein Gesprächsleitfaden. Er enthält Argumente und Fakten, die nicht stimmen. Beispielsweise werden die Agenten angehalten, den Kunden zu erzählen, dass sie mit grossen Schweizer Krankenkassen wie Groupe Mutuel, CSS, Sanitas, Visana und Helsana zusammenarbeiten würden und dass die Kunden bis zu 20 Prozent Prämien sparen könnten, wenn sie einem Beratungstermin zustimmten.
Intime Gesundheitsfragen
Service:
Um Termine zu vereinbaren, mussten die Telefon-Agenten nach einem fixen Frageraster vorgehen. Dabei mussten sie die Wohnadresse überprüfen, sowie nach der Anzahl Personen im Haushalt und nach der aktuellen Krankenkasse fragen. Ganz wichtig dabei auch die Jahrgänge: «Wenn der Kunde älter war als 61 Jahre, durften wir keine Termine abmachen», erzählt der Agent. Auch kranke Kunden waren unerwünscht. Deshalb mussten sie intime Fragen zur Gesundheit stellen. Eine lange Liste mit verschiedenen Krankheiten mussten sie bei jedem neuen Kundentermin ausschliessen. Denn lukrativ sind nur Termine mit gesunden Kunden.
Anrufe aus dem Ausland
Obwohl beim Kunden eine Nummer mit einer Schweizer Vorwahl erscheint, befinden sich die Callcenter im Ausland. Ein spezielles Computerprogramm täuscht die Schweizer Telefonnummern vor. «Solche Callcenter gibt es in der Türkei, in Tunesien, Marokko, Algerien, Albanien, Bosnien und auch in Griechenland», weiss der Insider. Sie alle seien spezialisiert darauf, Termine für Krankenkassen-Beratungsgespräche in der Schweiz zu vereinbaren. Wenn die Kunden gefragt hätten, woher sie anrufen, so hätten sie lügen müssen und eine Ortschaft in der Schweiz mit Schweizer Telefonnummer angegeben.
Callcenter in Afrika
Das Callcenter, in dem der Insider arbeitete, liegt in Tunesien. In einem Vorort der Hauptstadt Tunis. Von hier telefonieren rund 15 Call-Agenten in die Schweiz. Der Chef des Callcenters sitzt jedoch weit weg: In Deutschland. Von Berlin aus überwacht er per Internet seine Agenten. Kommt in Tunesien ein Termin zustande, so gelangen die Informationen via Berlin in die Schweiz, in den Kanton Baselland, nach Allschwil. Hier ist der Sitz der Maklerfirma Sogedas. Sie verkauft Kranken-Versicherungen. Weshalb bezieht Sogedas Termine aus Tunesien? Und warum müssen die Agenten in Tunesien vortäuschen, dass sie von Allschwil aus anrufen?
Spuren führen in die Schweiz
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«Kassensturz» will Antworten auf diese Fragen. Doch die Firma antwortet nicht. Im Internet präsentiert sich die Firma Sogedas als professionelle Beratungsfirma für Krankenkassen. Von der Firma Sogedas führen die «Kassensturz»-Recherchen zu einem Mann, der eine Coaching-Firma betreibt. Er wirbt unter anderem auch für die sogenannte telefonische Kalt-Aquise, eine Werbemethode, von der sich Krankenkassen distanzieren.
Schweizer trainiert Agenten in Tunesien
Der Coach trainiert Telefon-Agenten. Auch in Tunesien. Auf Facebook lässt er sich mit den frisch ausgebildeten Agenten ablichten. Auch dem Insider ist er in Tunis begegnet: «Er verbessert uns in der Sprache. Wenn er kommt, hilft er uns ein bisschen, wie man am Telefon besser Kontakt aufnehmen und Vertrauen gewinnen kann».
Krankenkassen distanzieren sich
«Kassensturz» zeigt den Krankenkassen die internen Dokumente des Callcenters, in welchen sie erwähnt werden. Dass ihr Name für solche Akquisitionsmethoden missbraucht werde, sei äusserst ärgerlich, schreiben die betroffenen Krankenkassen Groupe Mutuel, CSS, Sanitas, Visana und Helsana. Sie distanzieren sich alle von solch unlauteren Praxen. Sie würden keine Kalt-Aquise tolerieren. Dies sei vertraglich mit den Vertriebspartnern geregelt und sie würden dies regelmässig auch überprüfen.