Ein Stich in den Rücken homosexueller Männer – etwa so empfinden Kritiker den gestrigen Entscheid im Ständerat. Schwule dürfen weiterhin nur Blut spenden, wenn sie die letzten 12 Monate nicht mit anderen Männern Sex hatten.
Online gingen die Emotionen hoch: «Dieser Entscheid ist schlicht homophob», kommentierte ein SRF-News-User, einer der vielen, die sich gestern zum Entscheid äusserte. «Willkommen zurück im 20. Jahrhundert», schrieb ein anderer User. Ein Userin kritisierte den Entscheid auf einer anderen Ebene: «Wie bitte schön kann kontrolliert werden, dass einer ein Jahr lang keinen Sex hatte? [...] Das entbehrt wirklich jeglicher Logik und gesundem Menschenverstand.»
Ausschlaggebend müsste heute das Risikoverhalten sein – und nicht die sexuelle Orientierung.
Auf allen Kanälen äussert sich der Geschäftsleiter von Pink Cross, René Schegg. Er hat gestern die Debatte im Ständerat mitverfolgt. Als der Entscheid gefallen war, empfand er nur Eines: Enttäuschung. Der Schutz für die Blutempfänger sei absolut nachvollziehbar, aber: «Warum hat das heute noch etwas mit der sexuellen Orientierung zu tun?»
Ausschlaggebend müsste das HIV-Risikoverhalten sein. So sehe es auch das Heilmittelgesetz vor. Deshalb sieht er den Bundesrat in der Pflicht, beim Schweizerischen Heilmittelinstitut Swissmedic zu intervenieren. Der Entscheid wirft für ihn viele Fragen auf. «Warum vertraut man heterosexuellen Menschen mehr als homosexuellen?» Ehrlichkeit sei keine Frage der sexuellen Orientierung.
Ständerat Claude Janiak, der selber in einer homosexuellen Beziehung lebt, findet die aktuelle Situation «ziemlich absurd».
Er empfahl die Motion anzunehmen. «Weniger aus Gründen der offensichtlichen Diskriminierung.» Sondern vor allem, weil die Sicherheit nicht anhand eines Fragebogens, der seiner Ansicht nach auch fragliche Punkte aufweise, gewährleistet werde, sondern letztlich nur dadurch, dass schon heute jede Spende getestet werde.
12-Monate-Sex-Abstinenz unrealistisch
In der Schwulen-Community besteht laut Schegg der Wille und das Bedürfnis, mit einer Blutspende einen Beitrag an die Gesellschaft zu leisten. «Aber so fühlen wir uns einfach unerwünscht.»
Kaum jemand verzichtet 12 Monate lang auf Sex, nur um Blut spenden zu können.
Die aktuelle Lösung scheint Schegg fadenscheinig. «Wir wissen alle: Kaum jemand verzichtet 12 Monate lang auf Sex, nur um Blut spenden zu können.» Das sei ein faktischer Ausschluss.
Ältere Generation habe mehr Vorurteile
Warum fiel die Entscheidung des Ständerats so aus? Vielleicht um Sicherheit zu suggerieren, meint Schegg. «Ich vermute aber auch, dass leider immer noch Vorurteile gegenüber den Schwulen bestehen.» Vielleicht weil einige noch die Zeit der 80er Jahre vor Augen hätten. Die nächste Generation werde sicher eher anders entscheiden – «unvoreingenommen».