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Entlassen in der Coronakrise «Die Krise gab mir Anstoss, meine Komfortzone zu verlassen»

Mehr als 250'000 Menschen suchen derzeit einen Job in der Schweiz. In einigen Branchen ist es fast aussichtslos, eine Stelle zu finden. Viele müssen sich deshalb neu erfinden. Zwei Betroffene erzählen ihre Geschichte.

Karin Hurni (40), Reiseberaterin bis Oktober 2020

führt heute im Jobsharing das Sekretariat eines Chefarztes und Medizinprofessors

Portrait Karin Hurni
Legende: Karin Hurni musste wegen der Krise ihre Komfortzone verlassen, und hat einen Job in einem neuen Berufsfeld gefunden. SRF

«Schon als Kind hat es mir gefallen, wenn wir mit den Eltern in die Ferien reisten. Das Meer, andere Länder und andere Sprachen haben mich fasziniert. Ich habe im Reisebüro eine Schnupperlehre gemacht und sofort gewusst, ich will im Reisebüro arbeiten. Die Arbeit im Reisebüro war mein Traumberuf.

Ich durfte über all die Jahre viele Stammkunden gewinnen und ihnen die perfekte Reise zu ermöglichen, war meine tägliche Motivation. Ich war zwanzig Jahre beim gleichen Reiseanbieter und habe auch als Filialleiterin gearbeitet. Vor drei Jahren habe ich zu einem kleineren Reisebüro gewechselt.

Ich persönlich mag Traumstrände. Alles, was an der Wärme ist, am Meer, da hat es mich immer hingezogen. Ich habe diese Länder selbst bereist, oft mit Rucksack und öffentlichen Verkehrsmitteln. Ich habe auch die Sprachen gelernt, Spanisch zum Beispiel, um mit den Menschen vor Ort kommunizieren zu können.

Ab Februar kam Corona. Dann war nichts mehr wie vorher. Von einem Tag auf den anderen hat sich alles verändert.

Unser Reisebüro ist gut ins Jahr 2020 gestartet. Wir haben viele schöne Reisen verkauft und haben uns auf ein gutes Jahr gefreut. Ab Februar kam Corona. Dann war nichts mehr wie vorher. Von einem Tag auf den anderen hat sich alles verändert. Wir waren sehr beschäftigt mit Umbuchen, Annullieren und Kunden nach Hause holen. Viele Flüge wurden abgesagt. Wir mussten das Geld zurückfordern von den Fluggesellschaften und Reiseanbietern. Wir waren immer zwischen den Kunden und den Leistungsträgern am Vermitteln.

Ab März hatten wir Kurzarbeit und wir haben lange aus dem Homeoffice gearbeitet. Die Arbeit war oft frustrierend und sehr zeitintensiv. Aber die Kundinnen und Kunden waren dankbar, waren wir für sie da.

Auf den Sommer hin sah es wieder besser aus. Wir hatten Kunden, die wieder gereist sind. Wir mussten aber kurzfristig PCR-Tests organisieren. In gewisse Länder konnte man nur einreisen mit einem negativen Test.

Unser Firmeninhaber hat uns immer zugesichert, er stehe zu dieser Firma, er wolle das Geschäft weiterführen und die Arbeitsplätze sichern. Das ging so weiter bis in den Oktober, als die erhoffte Besserung in der Reisebranche nicht eintrat und Kündigungen ausgesprochen werden mussten. Das Büro sollte mit weniger Personal weitergeführt werden. Die letzten drei Mitarbeiterinnen, die in die Firma gekommen waren mussten gehen, dazu gehörte ich.

Am Tag der Kündigung kam eine Hektik auf. Wir haben uns alle getroffen und wussten nicht, was uns erwartet. Es war für uns alle ein Schock.

Am Tag der Kündigung kam eine Hektik auf. Wir haben uns alle getroffen und wussten nicht, was uns erwartet. Es war für uns alle ein Schock. Wir sassen alle am Tisch mit Tränen in den Augen. Wir haben alle gerne für die Firma gearbeitet und waren ein tolles Team. Es war ein trauriger Tag, ich war kurz auch frustriert. Aber schnell kam in mir die Motivation auf, etwas Neues zu suchen und eine Ausbildung zu machen, sollte ich keine Stelle finden.

Ich bin seit sieben Jahren Mutter und habe zwei Kinder. Nach 23 wunderbaren Jahren im Reisegeschäft habe ich schon vor der Krise zu überlegen begonnen, ob ich nochmals so lange im gleichen Beruf bleiben will. Und in der Corona-Zeit, als am Himmel keine Flieger mehr zu sehen waren, kam auch der Umweltgedanke auf.

Ich habe nach der Kündigung auf dem Berufsberatungs- und Informationszentrum Biz in Bern eine Beratung gemacht. Für mich war klar, dass ich mit Menschen arbeiten will. Die Auswertung eines Fragebogens hat gezeigt, welche Berufe hier infrage kommen oder welche weniger.

Das Krisenkind Berufs- und Laufbahnberatung BIZ

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Im Februar waren knapp 260’000 Stellensuchende bei den Behörden registriert. Die Arbeitslosenzahlen liegen um 42 Prozent höher als noch im Februar 2020, als Corona noch keinen Einfluss auf den Arbeitsmarkt zeigte. Das spüren auch die Berufs- und Laufbahnberatungsstellen in den Kantonen, sagt Daniel Reumiller. Er ist Leiter der kantonalen Berufsberatungs- und Informationszentren im Kanton Bern BIZ. Er präsidiert auch die schweizerische Konferenz für Berufs-, Studien- und Laufbahnberatung.

Im Kanton Bern haben die BIZ eine SOS-Corona-Laufbahnberatung eingerichtet. Das ist ein kostenloses Angebot für Personen aus Branchen, in welchen Stellen abgebaut werden, zum Beispiel in der Gastrobranche, Tourismus, Hotellerie, Event oder Kultur. Auch viele Selbstständigerwerbende seien darunter, die keine Aufträge mehr hätten, sagt Reumiller.

Die Leute werden einerseits von den regionalen Arbeitsvermittlungszentren RAV in die Laufbahnberatung geschickt. Andere kommen präventiv, weil sie eine Kündigung befürchten. «Viele machen sich Sorgen und fragen sich, habe ich überhaupt eine Zukunft in dieser Branche,» sagt Reumiller.

Gerade wer sich Sorgen mache, solle so die Möglichkeit erhalten, die Ängste um die berufliche Perspektive auch mal mit einer Person ausserhalb des Familien- und Freundeskreises besprechen zu können. «Wichtig ist bei diesen Beratungen, dass die Menschen Selbstvertrauen gewinnen und Handlungsoptionen erhalten, anstatt dazusitzen und abzuwarten.»

Die Laufbahnberatung für Erwachsene sei selbst ein Kind der Krise, weiss Leiter der Berner Berufsberatungs- und Informationszentren BIZ. Während der Ölkrise in den 1970er-Jahren seien plötzlich viele Leute vor dem Nichts gestanden. Der Staat habe festgestellt, dass die Berufsberatung in den Jugendjahren nicht ausreiche. Da wurde in den Kantonen die Laufbahnberatung für Erwachsene auf- und ausgebaut.

Wenn die Wirtschaft gut laufe, mache man sich oft keine Gedanken, ob man noch arbeitsmarktfähig sei. «Die Krise hat die Wirkung, dass man wachgerüttelt wird,» sagt Daniel Reumiller. Insofern biete die Krise auch die Chance, nachzudenken, ob man sich weiterentwickeln wolle.

Gleichzeitig habe ich schon begonnen, mich auf freie KV-Stellen zu bewerben. Ein Spital suchte für einen Chefarzt eine Assistentin. Dies hat mich sehr angesprochen, weil sie eine zweisprachige Person gesucht haben und mich die Arbeit im Spital schon immer interessiert hat. Ich habe dann als Test einen französischen Arztbericht geschrieben und noch zwei Schnuppertage gemacht. Dann erhielt ich die Zusage.

Ich bin heute zufriedener als vor einem Jahr, als die Krise begann. (...) Die Krise hat mir den Anstoss gegeben, meine Komfortzone zu verlassen.

Ich bin heute zufriedener als vor einem Jahr, als die Krise begann. Obwohl ich noch oft an diese schöne Zeit und die lieben Kunden denke, konnte ich abschliessen mit der Reisebranche. Die Krise hat mir den Anstoss gegeben, meine Komfortzone zu verlassen. Ich habe gemerkt, dass es noch etwas anderes gibt, das mich in meinem beruflichen Alltag befriedigt.

Im Sekretariat des Chefarztes habe ich eine abwechslungsreiche Arbeit, in der ich zum Beispiel seine Termine koordiniere, Arztberichte schreibe und mit Patienten Kontakt habe.

Gleichzeitig kann ich bei einem Corona-Antikörper-Forschungsprojekt mitarbeiten. Ist schon speziell, hat mir doch genau Corona meine frühere Arbeitsstelle gekostet. Jetzt bin ich dankbar, dass ich heute einen ganz kleinen Beitrag leisten kann, um die Krise zu bewältigen.»

Theresa Siegrist (61), 19 Jahre Verkäuferin in einem Duty-free-Shop am Flughafen Zürich

seit Herbst 2020 auf Jobsuche

Porträt Theresa Siegrist
Legende: Theresa Siegrist war 19 Jahre lang Verkäuferin in einem Durty-free-Shop am Flughafen. ZVG

«Ich war 19 Jahre lang Verkäuferin in einem Duty-free-Shop am Flughafen. Ich habe Zigaretten verkauft, Schnäpse, Softdrinks, Schokolade. Aber auch Uhren und die berühmten Schweizer Sackmesser. Am besten verkaufen sich die Zigaretten und natürlich die Spirituosen, die man im Duty-free zu einem vernünftigen Preis bekommt. Die Leute rauchen einfach zu viel.

Ich stamme aus den Philippinen. 1996 bin ich in die Schweiz gekommen. Mein Mann ist Schweizer, wir haben entschieden zu heiraten. Ich habe zuerst als Nanny und Haushälterin gearbeitet. 2001 begann ich am Flughafen als Verkäuferin zu arbeiten.

Ich hatte nie erwartet, dass mir das passiert, nicht nach 19 Jahren Arbeit bei derselben Firma.

Ich habe meinen Job am Flughafen geliebt. Ich arbeitete immer gerne, auch wenn es manchmal hart war. Manchmal haben wir sechs Tage hintereinander gearbeitet. Es gab zwei Schichten. Von sechs Uhr morgens bis um zwei Uhr nachmittags und dann von zwei Uhr bis um Mitternacht.

Bis Mitte April 2020 haben wir noch normal gearbeitet. Der Flughafen war manchmal menschenleer. Keine Flüge, keine Passagiere, die ankamen. Wenn ein Flugzeug landete, waren vielleicht vier Personen drin. Es waren traurige Tage. Im Mai haben wir gar nicht mehr gearbeitet. Im Juni haben wir begonnen, wieder unregelmässig zu arbeiten. Im August habe ich dann fast wieder normal gearbeitet.

Ende August an einem Freitag habe ich dann die E-Mail erhalten, ich solle mich bei den Vorgesetzten melden. Dann haben sie mir erklärt, dass sie die Belegschaft reduzieren müssen. Da haben sie mich entlassen.

Ich kann es nachvollziehen, aber die Kündigung zu akzeptieren fiel mir schwer. Ich hatte nie erwartet, dass mir das passiert, nicht nach 19 Jahren Arbeit bei derselben Firma. Ich habe auch mein Altersgeschenk verloren, dass ich nach 20 Jahren Treue zur Firma erhalten hätte. Ältere Leute wie ich – wir gehen davon aus, dass man uns behält, bis wir pensioniert werden.

Jobmaschine Flughafen Zürich

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27'000 Personen arbeiten am Flughafen. Dazu gehört das Flughafen- und Airlinepersonal, aber auch die Angestellten der Zulieferbetriebe wie der Reinigungsangestellte oder die Verkäuferin im Duty-free-Shop. Über 100 verschiedene Berufe gibt es am Flughafen.

Schätzungen gehen davon aus, dass nochmals 40'000 Arbeitsstellen im Kanton Zürich vom Flughafen profitieren. Bleiben die Flugzeuge am Boden, geraten viele Zulieferbetriebe des Flughafens in die Turbulenzen. So geschehen im Krisenjahr 2020.

Daniel Peter ist Job-Coach bei der kirchlichen Fachstelle bei Arbeitslosigkeit DFA im Kanton Zürich. Er betreut Angestellte, die am Flughafen Zürich gearbeitet haben und letztes Jahr ihre Stelle verloren haben. Er sagt: «Es hat vor allem die Schichten getroffen, die nicht eine exzellente Ausbildung haben oder die durch die Sprache begrenzte Möglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt haben.»

Ein Sektor, der besonders betroffen sei, sei die Reinigungsbranche am Flughafen. Viele Personen mit Migrationshintergrund hätten in der Reinigung am Flughafen eine Arbeitsstelle gefunden. Oft zwar nur auf Abruf oder nur temporär. Der Lohn sei tief, aber reiche gerade für den Lebensunterhalt. In der Krise gehörten sie zu den ersten, welche die Stelle verloren hätten.

Die Fachstelle berät bei drohendem Arbeitsplatzverlust und bei Erwerbslosigkeit. Sie hilft aber auch bei der Jobsuche und bei Bewerbungsschreiben. Daniel Peter: «Wir haben viele Klienten, die nicht sattelfest sind mit dem Computer. Diese Personen brauchen sehr viel Unterstützung.» Gerade beim Thema Digitalisierung müsse der Staat zukünftig besser schauen, wie Menschen ohne Computerkenntnisse fit für den Arbeitsmarkt gemacht würden – das der Appell von Jobcoach Daniel Peter.

Viele warten auch darauf, dass es bald wieder losgehe am Flughafen. Aber die Perspektive der Reisebranche sei schlecht abschätzbar. «Sprechen wir von Monaten oder von ein, zwei Jahren? Man weiss es nicht,» sagt Daniel Peter. Das sei eine lange Zeit, wenn man auf eine Stelle hofft.

Es hat mich verletzt, dass sie mir gekündigt haben. Ich habe der Firma immer gedient. Ich habe von morgens früh bis abends spät nur an die Arbeit gedacht. Mir ging es nicht ums Geld. Man hat mir auch Mutter Theresa gesagt. Die jüngeren Kolleginnen riefen mich sogar Mami. Ich weine manchmal, wenn ich meine Arbeitskolleginnen denke. Sie schreiben mir, sie schicken mir Nachrichten. Ich vermisse sie.

Ich wünsche mir nichts sehnlicher, als bald eine Stelle zu finden. Aber mit 61 ist das einfach schwierig.

Noch bevor ich den Kaffee am Morgen fertig getrunken habe, beginne ich auf den Jobportalen nach offenen Arbeitsstellen zu suchen. Es ist sehr schwierig für mich, eine Stelle zu finden. Ich würde alles machen. Ich kann wieder als Babysitter oder als Nanny arbeiten oder auch als Senioren-Betreuerin. Ich würde auch putzen oder kochen. Aber auch eine Stelle im Verkauf suche ich weiterhin. Ich habe mich kürzlich online bei einer Modekette bewerben wollen. Als ich mein Geburtsjahr, 1960, eingeben wollte, erschien eine Fehlermeldung. Bitte schreiben Sie Ihr korrektes Geburtsdatum, stand da. Da merkte ich, ich bin zu alt, die wollen mich nicht.

Mein Mann ist bereits pensioniert, er bekommt eine kleine Rente. Wir haben ein wenig Erspartes. Aber das wird nicht lange reichen. Wenn ich keine Arbeit finde, wird uns niemand helfen. Ich wünsche mir nichts sehnlicher, als bald eine Stelle zu finden. Aber mit 61 ist das einfach schwierig.»

Rendez-vous, 16.03.2021, 12:30 Uhr

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