«Manchmal staunt man in der Politik wie ein Kleinkind vor dem Riesenrad», entfuhr es mitten in der Debatte Werner Hösli: Der SVP-Ständerat staunte darüber, wie rasch und einhellig seine Kollegen Sparmassnahmen bei den Ergänzungsleistungen (EL) über Bord geworfen haben heute.
Kapitalbezugsverbot ist vom Tisch
In einem zentralen Punkt kippte der Ständerat gar einen eigenen, früher gefällten Sparbeschluss: Letztes Jahr noch wollte er Senioren verbieten, sich ihr Pensionskassengeld als Kapital auszahlen lassen zu dürfen. So sollte verhindert werden, dass Pensionierte ihr Geld allzu sorglos ausgeben und später ein Fall werden für Ergänzungsleistungen.
Ein solches Kapitalbezugs-Verbot aber ist seit heute vom Tisch. Die Massnahme ist Opfer geworden eines Deals zwischen bürgerlichen und linken Ständeräten.
Und so funktioniert der Deal: Die Linke verzichtete auf das Bezugs-Verbot, das sozialpolitisch durchaus auf ihrer Linie liegen würde. Im Gegenzug liessen bürgerliche Ständeräte eine ganze Reihe weiterer Sparmassnahmen fallen, die im Nationalrat noch eine Mehrheit gefunden hatten.
Zuschüsse für Kinder werden nicht gekürzt
Vom Tisch sind namentlich Kürzungen bei den Zusatzgeldern für Wohnungsmieten: Der Ständerat will EL-Bezügerinnen und Bezügern deutlich höhere Zuschüsse an ihre Mieten gewähren. Ein weiteres Beispiel: Auch Bezüger mit Familie werden verschont: Der Ständerat will die Zuschüsse für Kinder nicht kürzen.
«Wir bürgerliche Ständeräte haben bei den Ergänzungsleistungen die Nöte der Bevölkerung eher gespürt als die bürgerlichen Nationalräte», sagt Ständerat Joachim Eder von der FDP.
Am längeren Hebel
Deutlich gespürt haben die Ständeräte aber auch den Widerstand von Kantonen, Gemeinden und Städten. Diese befürchten, dass sich manche Sparmassnahmen als Bumerang erweisen könnten: Statt Ergänzungsleistungen würden Betroffene dann einfach Sozialhilfe beziehen müssen – auf Kosten von Gemeinden und Kantonen.
Die Ständeräte sind sich einig geworden. Sie haben einen Deal. Und sie sitzen im weiteren «Hin und Her» zwischen den Räten am längeren Hebel: Weil ihre Reihen fast ganz geschlossen sind, haben sie in einer allfälligen Einigungskonferenz eine Mehrheit auf sicher.
Das wissen auch die bürgerlichen Sparpolitiker im Nationalrat. Wohl deshalb kommt von ihnen heute die Drohung, die Reform ganz zum Absturz zu bringen. Doch die Parlamentarier rechts der Mitte müssten fast genau geschlossen stimmen, um die Reform zu kippen: Stand heute ist das wenig wahrscheinlich.
Realistischer ist somit eine Reform, die deutlich weniger Einsparungen bringt, als dies FDP und SVP wollten: Von fast 600 Millionen Franken Einsparungen im Nationalrat blieben heute im Ständerat noch gut 200 Millionen übrig.
Neue Ansätze gesucht
Derweil steigen die Milliarden-Ausgaben für die Ergänzungsleistungen Jahr für Jahr: Weil wir älter werden. Weil jetzt die geburtenstarken Jahrgänge ins Pensionsalter kommen. Und vor allem: Weil die Pflege am Lebensende immer teurer wird.
Immer mehr Steuergelder werden in die Ergänzungsleistungen fliessen. Nur grundlegend neue Ansätze könnten daran etwas ändern. Im Raum steht zum Beispiel die Idee einer neuen Sozialversicherung, einer solidarisch finanzierten Pflegeversicherung. Mehrheitsfähig aber waren solche Ideen bislang nicht. Der politische Leidensdruck, das zeigt auch die aktuelle Spardebatte, ist bei weitem noch nicht gross genug.