- Ganz im Zeichen des geplanten Rahmenabkommens mit der Europäischen Union stand die SVP-Tagung in Zürich.
- Alt Bundesrat Christoph Blocher warnte vor neuer Knechtschaft.
- Aussenminister Cassis versuchte hingegen, das Publikum für einen Neuanfang mit Brüssel zu gewinnen.
Seine launige Rede begann SVP-Urgestein Christoph Blocher mit einem Sonett von Gottfried Keller. Danach spann er den Bogen vom freiheitsliebenden Volk, das sich einst erfolgreich gegen fremde Landvögte aufgelehnt hatte, bis zur Gründung des liberalen Schweizer Nationalstaates, der endlich Frieden und Wohlstand gebracht habe.
Warnung an «Fraue und Manne»
Es folgten Zitate von Schiller, Goethe, Dürrenmatt und aus dem Matthäus-Evangelium. Der prallvolle Festsaal lauschte in andächtiger Stille, während Blocher aus literarischen Klassikern rezitierte.
Heute seien die Unabhängigkeit und der Wohlstand der Schweiz mehr denn je zuvor in Gefahr, warnte Blocher die anwesenden «Fraue und Manne». Es sei traurig, festzustellen, dass die Classe politique in Bern in den letzten 25 Jahren alles getan habe, um das klare Nein zum EWR-Beitritt von 1992 auszuhebeln. Die «Gauner, Lügner und Verräter» in Bundesbern hätten diesen Volksentscheid im Grunde genommen nie akzeptiert.
«Auf dem Weg zur Knechtschaft»
Inzwischen werde internationales Recht vor das von Volk und Ständen geschaffene Recht gestellt, eiferte Blocher weiter. Hier habe ein «stiller Staatsstreich» stattgefunden. Die Schweiz sei heute deshalb erneut «auf dem Weg zur Knechtschaft».
Doch die SVP sei entschlossen, dem Staatsstreich in geordneten Bahnen entgegenzutreten, sagte Blocher und verwies auf die Begrenzungs- und die Selbstbestimmungsinitiative.
Zuvor hatte der Schweizer Aussenminister Ignazio Cassis als Gastredner für einen Neuanfang in den Beziehungen zwischen Bern und Brüssel geworben. Der FDP-Bundesrat versprach dem SVP-Publikum gleichzeitig, die Landesregierung werde nicht akzeptieren, dass fremde Richter Schweizer Recht auslegen. «Wenn wir keine Einigung finden, gibt es keinen Deal».
Noch im «Bundesratspraktikum»
Er sei zwar noch keine 100 Tage im Amt und daher noch im «Bundesratspraktikum», stellte der Tessiner FDP-Bundesrat am Freitag gleich zu Beginn seiner Rede im Zürcher Schützenhaus klar. Er habe sich dennoch für den Auftritt vor dem SVP-Publikum entschieden - denn Aussenpolitik beginne im Inland, und daher auch im Albisgüetli.
Zunächst kam er auf die eben erst in die Unterschriftensammlung gestartete SVP- und Auns-Initiative für die Kündigung der Personenfreizügigkeit zu sprechen. Diese deute darauf hin, dass der Bilaterale Weg für die SVP «nicht unentbehrlich sei».
Reset-Taste gemeinsam drücken
Die sieben Verträge der «Bilateralen I» garantierten jedoch einen einfachen europäischen Marktzugang, rief Cassis in Erinnerung. Und ein sicherer und stabiler Zugang zum europäischen Markt mit 500 Millionen Menschen sei zentral, wenn die Schweiz weiterhin ihre Produkte verkaufen und ihren Wohlstand behalten wolle.
Der Freisinnige Tessiner hatte vor der Bundesratswahl mit dem Versprechen, in der festgefahrenen Diskussion um ein Rahmenabkommen mit der EU die «Reset-Taste» drücken zu wollen, im SVP-Lager viel Sympathie-Punkte gesammelt. An diesen Sympathie-Vorschuss versuchte er am Freitag anzuknüpfen und lud die SVP-Anhänger dazu ein, den Reset-Knopf gemeinsam zu drücken.
Streit um Worte
Mit dem «institutionellen Rahmenabkommen» sei es wie mit der Bibel, stellte Cassis fest: Alle sprächen davon, aber niemand wisse genau, was drin stehe. Das Ziel sei im Grunde genommen nichts anderes als ein Marktzugangsabkommen.
Doch dieser Begriff liess Blocher in seiner Replik nicht durchgehen: Es sei nichts anderes als der Versuch, mit schönen Worten einen Ankettungsvertrag zu verharmlosen. Der Name, der der Wahrheit entspreche, sei «Vertrag zur Abschaffung der schweizerischen direkten Demokratie».
Spekulation über Vertragspaket
Um mit der EU eine Einigung in den festgefahrenen Verhandlungen zu finden, schwebt Cassis gemäss Medienberichten ein neues Vertragspaket vor, das Marktzugänge und Teile aus dem umstrittenen Rahmenabkommen verknüpft. Das Paket soll laut der «SonntagsZeitung» einen Stromvertrag und ein Dienstleistungsabkommen für den Zugang für Schweizer Banken und Versicherungen zu den EU-Märkten sichern.
Integriert werden sollen auch Institutionen zur Überwachung der Marktzugangsverträge und ein Gericht, das bei Streitigkeiten über die Einhaltung der Verträge urteilt. Cassis erhoffe sich von der Paketlösung von Brüssel grösseres Entgegenkommen bei der heiklen Frage der «fremden Richter», indem die EU gemischte Gerichte statt den EU-Gerichtshof akzeptieren solle.