Nicht weniger als den «bestmöglichen Marktzugang mit der grösstmöglichen Eigenständigkeit»: Das will der Bundesrat, wie der neue Aussenminister Ignazio Cassis nach einer langen und zähen Sitzung der Landesregierung festhält. Es ist die Quadratur des Kreises, an der sich die EU und die Schweiz während vier Jahren in 19 Verhandlungsrunden die Zähne ausgebissen haben – bisher ohne brauchbares Resultat.
Die EU fordert ultimativ, dass die Schweiz im Bereich des Marktzugangs künftiges EU-Recht übernimmt. Bei Streitigkeiten soll die Schweiz die Auslegung des Europäischen Gerichtshofs akzeptieren, sich also «fremden Richtern» unterordnen. Für die Schweiz ist vor allem Letzteres ein absolutes «No Go».
Uneinigkeit im Bundesrat
Jetzt prüft der Bundesrat «neue Ansätze zur Streitbeilegung» – und zwar solche, «die innenpolitisch abgestützt werden können». Wer mehr als solche wolkigen Formulierungen in der veröffentlichten Medienmitteilung erwartet hat, sieht sich enttäuscht. Aus verhandlungstaktischen Gründen wolle er keine Details bekanntgeben, begründet Cassis.
Die Zurückhaltung dürfte allerdings viel eher damit zusammenhängen, dass sich der Bundesrat nach wie vor alles andere als einig ist, welche Pisten er weiterverfolgen möchte. Auf seinem Tisch liegen unterschiedlichste Modelle, wie man die Problematik der «fremden Richter» entschärfen oder gar beseitigen könnte.
Entscheide hat die Landesregierung keine gefällt, die neuen Elemente bloss «abgewogen», wie man der Mitteilung entnimmt. Der Bundesrat ist sich noch nicht einmal darüber im Klaren, in welchen Bereichen er mit der EU neue Abkommen abschliessen möchte, wie im Laufe der Medienkonferenz klargeworden ist. Erst die geplante Klausursitzung zur Europafrage von Ende Februar soll hier die nötige Klarheit bringen.
Danach verbleiben gerade mal zehn Monate, um den Kreis mit der EU zu quadrieren. Im nächsten Jahr sei in Brüssel infolge der bevorstehenden EU-Wahlen gar nichts mehr zu holen, ist Cassis überzeugt. Wer darauf wettet, dass in dieser kurzen Zeitspanne keine Einigung zustande kommt, geht kein grosses Risiko ein. «Wenn es klappt, klappt es, wenn es nicht klappt, klappt es nicht», sagt der Aussenminister und bereitet die Schweizer Öffentlichkeit damit schon mal sachte auf das absehbare Scheitern vor.
Unausweichliche Grundsatzfrage
Wohl erst später als früher wird damit die Grundsatzfrage beantwortet werden müssen, der man bisher tunlichst ausgewichen ist: Ist die Schweiz bereit, einen Teil ihrer Souveränität preiszugeben, um sich der EU annähern zu können? Oder akzeptiert die EU die politischen Eigenheiten der Schweiz und rückt von Prinzipien ab, an denen sie bisher gegenüber dem Nicht-Mitgliedstaat kategorisch festgehalten hat?
Denn eines wird immer offensichtlicher: Der Anspruch der EU, von ihr verfasste neue und ausufernde Regelwerke innert relativ kurzer Zeit in schweizerisches Recht überführen zu wollen, ist mit unserer fein austarierten direkten Demokratie, in der das Schweizervolk das letzte Wort hat, nicht kompatibel.
Der Tag wird kommen, an dem man über die «Reset»-Taste in den Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU nicht nur wird sprechen, sondern sie auch tatsächlich wird betätigen müssen.