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Ewigkeitschemikalien So viel könnten PFAS die Schweiz kosten – exklusive Schätzung

Bis zu 26 Milliarden Franken könnte es kosten, Erde und Wasser von PFAS zu reinigen. Das zeigt eine SRF-Recherche.

PFAS können gefährlich sein für unsere Gesundheit und sie sind überall in der Umwelt. Um Wasser oder Erde von den Ewigkeitschemikalien zu reinigen, sind aufwändige Sanierungen notwendig. Eine Recherche von SRF Investigativ und Kassensturz hat erstmals ermittelt, wie teuer es werden könnte, stark belastete Standorte und Trinkwasser zu sanieren.

Was sind PFAS?

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PFAS-haltige Produkte
Legende: PFAS-haltige Produkte Pizzaschachteln, Kaffeebecher und andere Verpackungen enthalten oft PFAS. Wie auch wasserabweisende Textilien oder Pfannen. Keystone SDA

PFAS steht für «Per- und polyfluorierte Alkyl-Substanzen» und ist ein Überbegriff für eine Gruppe chemischer Stoffe. Diese werden seit den 1940er-Jahren eingesetzt und sind in vielen Industriebereichen beliebt, weil sie etwa wasser- und fettabweisend sowie temperaturbeständig sind. PFAS sind entsprechend in Feuerlöschschäumen zu finden oder werden bei der Herstellung von Bratpfannen, Lebensmittelverpackungen, Kosmetika, Textilien für Möbel und Outdoor-Kleidung, oder Fotografien und Verchromungen eingesetzt. Sie gelangen auf unterschiedliche Arten in die Luft, die Erde oder ins Wasser: Bei der Herstellung von Produkten, deren Nutzung oder etwa wenn PFAS-haltige Materialien auf Abfalldeponien landen.

PFAS werden auch «forever chemicals» , also Ewigkeitschemikalien , genannt, weil sie sich in der Umwelt nicht abbauen. Sie sind – in unterschiedlichem Ausmass – toxisch und gefährlich für die Gesundheit : Sie können Organe wie Leber oder Nieren schädigen oder die Wirkung von Impfungen schmälern. Unterschieden wird zwischen langkettigen PFAS (PFOA, PFOS, PFHxA und PFHxS) und kurzkettigen. Die langkettigen bleiben länger im menschlichen Körper, ihre Toxizität ist besser erforscht und sie sind heute zu einem Grossteil schon verboten.

SRF hat gemeinsam mit Medienhäusern aus 15 europäischen Ländern diese Zahlen berechnet, im Rahmen des «Forever Pollution Project». Als Basis dienten verschiedene Daten aus allen Ländern, etwa zu Trinkwassermengen, Abwasser oder Abfalldeponien. Mithilfe von Wissenschaftlern aus den USA und Norwegen wurden die folgenden Kosten für die Schweiz berechnet:

  • Minimal: 1 Milliarde Franken für einen Zeitraum von 20 Jahren beziehungsweise 52 Millionen Franken jährlich. Der Eintrag müsste ab sofort gestoppt werden und die Schweiz nur langkettige PFAS sanieren. Der Grossteil der Kosten entfiele auf die Sanierung von stark belasteter Erde; ein kleinerer Teil auf Abfalldeponien und Trinkwasser. Für die ganze EU liegen die Kosten bei 95 Milliarden Euro auf 20 Jahre.
  • Umfassender: 26 Milliarden Franken für einen Zeitraum von 20 Jahren oder 1.3 Milliarden jährlich. PFAS wären nicht verboten, das heisst würden weiter in die Umwelt gelangen, und die Schweiz sanierte an den stark belasteten Orten auch kurzkettige PFAS. Für die ganze EU wären es im umfassenderen Szenario 2000 Milliarden Euro auf 20 Jahre.

Wie sind diese Zahlen grössenmässig einzuordnen? Ein Vergleich in der Schweiz bietet sich mit der Sanierung anderer Altlasten an. Mehrere tausend Industrieareale, Deponien und Schiessanlagen sollen in den nächsten Jahrzehnten von Giftstoffen gereinigt werden. Der Bund schätzt die Kosten dafür auf fünf Milliarden Franken.

Was diese Zahlen leisten – und was nicht

Die PFAS-Berechnungen – 1 Milliarde im Minimalszenario, 26 Milliarden für umfassendere Sanierungen – sind Schätzungen. Dank neuer Technologien könnten Sanierungen künftig auch billiger durchzuführen sein. Ein Start-up aus Schlieren hat etwa ein Verfahren entwickelt, das kostengünstiger sein soll.

So werden PFAS saniert

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Die Kantone sind sehr unterschiedlich weit mit PFAS-Sanierungen, das zeigt eine SRF-Umfrage . Wie PFAS aus der Umwelt entfernt werden, variiert denn auch je nach Ort der Verschmutzung. Die Methoden sind unterschiedlich teuer und effektiv.

  • Wasser kann zum Beispiel teilweise von PFAS gereinigt werden, indem es durch Aktivkohlefilter geleitet wird. Auch chemische Methoden können PFAS im Wasser zerstören oder in weniger schädliche Substanzen umwandeln. Künftig sollen möglicherweise auch Bakterien genutzt werden können, um PFAS biologisch abzubauen.
  • In Böden können thermische Methoden zum Einsatz kommen. Das heisst: Verschmutzte Erde wird ausgehoben, hohen Temperaturen ausgesetzt und die PFAS so zerstört. Auch mittels Bodenwäsche – eine Technik, welche Schadstoffe vom restlichen Boden trennt – können PFAS aus Böden entfernt werden.
  • Bei Sanierungen von Beton werden PFAS nicht entfernt. Es können aber die Oberflächen mit speziellen Beschichtungen versiegelt werden, sodass PFAS, die im Beton enthalten sind, nicht mehr freigesetzt werden.

Gleichzeitig ist es eine konservative Schätzung. Die Zahlen beziehen sich nur auf Sanierungen stark belasteter Standorte. Auch würde die Grundbelastung mit PFAS, die sich überall in der Umwelt findet, weiter bestehen. Gewisse Kosten fehlen zudem ganz: So gibt es zu PFAS-Verunreinigungen in Beton noch zu wenige Daten.

Bodenwäsche-Anlage in Antwerpen (Belgien)
Legende: Bodenwäsche-Anlage Diese Anlage in Antwerpen (Belgien) kann auch PFAS aus der Erde reinigen. Forever Lobbying Project

Die finanzielle Belastung durch PFAS dürfte zudem über Sanierungen hinausgehen: PFAS wirken sich auf die Gesundheit von Mensch und Tier aus, was die Gesellschaft Geld kostet.

PFAS werden bereits heute vereinzelt saniert

Auch könnten auf die Steuerzahler Kompensationszahlungen zukommen, wenn etwa Fleisch oder Milch mit zu hohen PFAS-Werten nicht mehr verkauft werden können.

PFAS-Verbot geplant

Wie viel PFAS-Sanierungen die Schweiz kosten werden, hängt auch davon ab, als wie hoch der Sanierungsbedarf eingestuft wird. Diese Evaluationen in den Kantonen laufen derzeit.

Bisherige PFAS-Sanierungen kosteten 50 bis 100 Millionen Franken

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Das Bundesamt für Umwelt BAFU schreibt auf Anfrage von SRF, es könne zu möglichen künftigen Sanierungskosten derzeit keine verlässlichen Aussagen treffen. «Um diese zu beziffern, sind mehr Informationen zu den Belastungssituationen nötig», schreibt das BAFU. So würden etwa in Zusammenhang mit zwei Vorstössen im Parlament Grenzwerte für PFAS, z.B. im Boden oder in Abfällen, erarbeitet und die Belastungssituationen untersucht.

Das BAFU gibt allerdings eine grobe Schätzung ab, wie hohe Kosten bisherige PFAS-Sanierungen verursacht haben: zwischen 50 bis 100 Millionen Franken. Allein für die Untersuchungen von PFAS seien zudem Kosten von geschätzt fünf Millionen Franken angefallen.

Für diese Sanierungen zuständig seien die Kantone und Verursacher. Im letzten Frühling richtete die Eidgenössische Finanzkontrolle EFK eine deutliche Forderung an Bundesrat und Parlament: Es fehle den Schweizer Behörden der Überblick über die PFAS-Belastungen, schrieb die EFK. Und weiter: «Man müsste in Beobachtungsstrukturen investieren, denn vorbeugen ist besser als heilen.»

Bedeutend wird auch sein, wie streng allfällige Grenzwerte ausfallen und ob PFAS weiter in die Umwelt gelangen oder ob der Eintrag reduziert wird.

SRF als Teil des «Forever Pollution Project»

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SRF Investigativ und Kassensturz haben die Recherche im Rahmen des «Forever Pollution Project» ausgeführt. Es handelt sich um eine Kollaboration, angeführt von Le Monde, mit 46 Journalistinnen Und Journalisten und 29 Medienpartnern aus 16 Ländern: RTBF und De Tijd (Belgien); Denik Referendum (Tschechische Republik); Investigative Reporting Denmark (Dänemark); YLE (Finnland); Le Monde und France Télévisions (Frankreich); MIT Technology Review Germany, NDR, WDR und Süddeutsche Zeitung (Deutschland); Reporters United (Griechenland); Radar Magazine, Facta.eu und La Via Libera (Italien); Investico, De Groene Amsterdammer und Financieele Dagblad (Niederlande); Klassekampen (Norwegen); Oštro (Slowenien); Datadista (Spanien); Sveriges Radio und Dagens ETC (Schweden); SRF (Schweiz); The Black Sea (Türkei); Watershed Investigations / The Guardian (UK). Dazu besteht eine Veröffentlichungspartnerschaft mit «Arena for Journalism in Europe» und eine Zusammenarbeit mit der Lobby-NGO «Corporate Europe Observatory».

Die Recherche basiert auf rund 14’000 bisher unveröffentlichten Dokumenten zu Ewigkeitschemikalien PFAS. Diese Dokumente wurden auch dank 180 Gesuchen gemäss Öffentlichkeitsgesetz (Englisch: FOIA) erhältlich; 80 dieser Gesuche stellte das «Corporate Europe Observatory» und gab die Dokumente an die Journalistinnen und Journalisten weiter. Bereits 2023 veröffentlichten SRF und Medienpartner die PFAS-Karte der ewigen Belastungen . Die aktuelle Recherche dient als Fortsetzung und umfasst den Austausch mit 18 internationalen Akademikern und Forscherinnen. Das Projekt erhielt finanzielle Unterstützung vom Pulitzer Center, der Broad Reach Foundation, Journalismfund Europe und IJ4EU.

Die Schweiz vollzieht beim Regulieren von Chemikalien oft die Vorgaben der Europäischen Union. Vor zwei Jahren wurde auf EU-Ebene ein umfassendes PFAS-Verbot aufgegleist, das schrittweise eingeführt würde. Bis zu einer Implementierung rechnen Beobachter mit mehreren Jahren.

Heute im «Kassensturz»

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Legende:

Mehr zum Thema gibt es heute in der Sendung «Kassensturz» um 21:05 Uhr auf SRF 1.

HeuteMorgen, 14.01.2024, 6:00 Uhr

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