Über 900 Menschen sind in der Schweiz im Jahr 2020 mithilfe der Sterbehilfe-Organisation Exit aus dem Leben geschieden, die meisten in den eigenen vier Wänden. Selbstbestimmung am Lebensende: Dies soll nicht nur zu Hause, sondern auch in allen Zürcher Altersheimen möglich sein. Das Kantonsparlament hat entschieden, dass Pflegeheime Sterbehilfe zulassen müssen.
Bis heute gibt es im Kanton Zürich keine einheitliche Regelung. Heimleitungen können selbst entscheiden, ob sie begleitete Suizide erlauben oder nicht. So ist es etwa in den Alters- und Pflegeheimen der Stadt Zürich möglich, die Unterstützung von Sterbehilfe-Organisationen in Anspruch zu nehmen. Aber: Gemäss Umfrage erlaubt jedes vierte Heim Sterbehilfe in den eigenen Räumen nicht – vor allem ländliche, private oder religiöse Institutionen.
Dies müsse sich ändern, so die SP. Sie setzte sich im Kantonsparlament mit einem Vorstoss dafür ein, dass alle Heime assistierte Suizide in ihren Räumen zulassen müssen. Die Bewohnerinnen und Bewohner müssten ihr Selbstbestimmungsrecht überall ausüben können. «Es geht darum, Leiden zu verhindern», sagte etwa SP-Kantonsrat Thomas Marthaler.
Bewohner oder Heim: Welche Selbstbestimmung wiegt mehr?
Die Ratslinke und die Grünliberalen machten darauf aufmerksam, dass die Heimauswahl oft auch stark eingeschränkt sei, Platz sei vor allem in ländlichen Gegenden knapp. Eine Heim-Wahl zu treffen und dabei die eigenen Sterbeansprüche zu berücksichtigen, sei kaum möglich. Zudem stelle sich die Frage zum Zeitpunkt des Heimeintritts häufig noch gar nicht.
Weiter müsse sterbenden Bewohnerinnen und Bewohnern das Recht eingeräumt werden, den Ort ihres Abschieds selbst zu bestimmen. «Es ist belastend, wenn jemand sein vertrautes Umfeld noch einmal verlassen muss, um Sterbehilfe in Anspruch zu nehmen», so Marthaler weiter. SP, Grüne, GLP und AL waren sich einig: Die Institutionen dürften sich nicht über das Selbstbestimmungsrecht der Bewohnenden stellen.
Die Mitte und die konservative Ratsseite waren gespalten. Während Mitte und FDP Stimmfreigabe beschlossen, lehnten es SVP, EDU und EVP ab, Sterbehilfe in Altersheimen generell zu erlauben. Dies sei eine enorme seelische Belastung und dürfe Personal und Bewohnern nicht zugemutet werden. EVP-Kantonsrat Markus Schaaf forderte «einen Schutzraum für Menschen, die nicht wollen, dass das um sie herum praktiziert wird.»
Die Zugangsregelung würde vielerorts ins Leere laufen.
Es reiche, wenn den Heimen zugestanden wird, die Sterbehilfe-Regeln selbst aufzustellen. Dieser Meinung sind auch die beiden Branchenverbände Senesuisse und Curaviva Zürich. Eine Zugangsregelung per Gesetz sei nicht nötig, die Heime sollten die Suizid-Frage in ihren eigenen Leitlinien festhalten können.
Der endgültige Entscheid wird beim Volk liegen
Die Zürcher Gesundheitsdirektorin Natalie Rickli ist selbst Mitglied der Sterbehilfe-Organisation Exit. Ihr Zugang zu allen Heimen gewähren, will sie trotzdem nicht. Dies führe zum Beispiel zu Konflikten in den Heimen. «Die Zugangsregelung würde vielerorts ins Leere laufen», sagte sie im Rat. In vielen Heimen hätten Sterbehilfe-Organisationen bereits Zutritt. Ein Ausbau der Palliativpflege sei hier sinnvoller.
Auch wenn das Zürcher Kantonsparlament nun mit 92 zu 76 Stimmen entschieden hat, dass Sterbehilfe-Organisationen Zugang zu allen Heimen erhalten sollen, wird vermutlich am Schluss das Volk darüber entscheiden müssen. Mehrere Vertreter der SVP haben angekündigt, ein Behördenreferendum gegen diesen Entscheid zumindest zu unterstützen.