Sie zahlen keine Steuern oder Bussen. Sie unterzeichnen Urkunden mit blutroten Fingerabdrücken und halten den Schweizer Staat für eine Privatfirma: Sogenannte Staatsverweigerer.
Eine ihrer Hauptaktivitäten: Die Behörden schikanieren. Zu spüren bekommen das vor allem Betreibungsbeamtinnen und -beamte. Diese müssen etwa Steuerschulden eintreiben und sind oftmals die ersten Vertreter des Staates überhaupt, die mit Staatsverweigerern persönlich Kontakt haben.
Exklusiv-Umfrage: So belastet sind die Behörden
Die Mehrarbeit, die den Behörden durch diese Klientel entsteht, ist beträchtlich – und in der ganzen Deutschschweiz feststellbar. Das zeigt eine schweizweite Umfrage von SRF Investigativ bei Betreibungsbehörden.
Während Ämter in der lateinischen Schweiz das Phänomen nicht oder nur von Einzelfällen kennen, ist der Mehraufwand in der Deutschschweiz teils markant.
Wer sind die Staatsverweigerer?
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Staatsverweigerer und -verweigerinnen sind überzeugt, dass die Schweiz kein Staat, sondern eine Firma ist. Sie fühlen sich deshalb auch nicht verpflichtet, Steuern, Abgaben oder Bussen zu bezahlen.
Häufig vermischt sich die Staatsverweigerung mit esoterischen und verschwörungsideologischen Überzeugungen, etwa mit der Vorstellung, dass Staaten nur Marionetten einer geheimen Elite seien. Eine Untergruppe der Staatsverweigerer sind die Reichsbürger. Diese zielen darauf ab, das Deutsche Reich in Deutschland wieder aufleben zu lassen. In der Schweiz gibt es erst eine kleinere Studie von Extremismusforscher Dirk Baier der ZHAW, die nahelegt, dass die Staatsverweigerer-Szene erstaunlich divers ist.
Demnach sind Staatsverweigerer im Schnitt gut 41 Jahre alt und damit deutlich jünger als etwa in Deutschland. Es sind zudem fast gleich viele Frauen wie Männer vertreten, wobei gemäss Studienautor Baier die männlichen Staatsverweigerer wohl häufiger öffentlich in Erscheinung treten.
Politisch stehen Staatsverweigerer «eher rechts», sagt Baier, aber die Überschneidung mit dem Rechtsextremismus sei gar nicht so gross wie gemeinhin vermutet. Teilweise würden auch Ideen propagiert, die eher anarchistisch-linksextremistisch einzuordnen seien.
Der Umgang mit Staatsverweigerern wird als «äusserst zeit- und ressourcenaufwändig» beschrieben. Das Phänomen hat in einigen Regionen seit der Corona-Pandemie «stark zugenommen».
«Kleine Ämter auf dem Land teils massiv betroffen»
Die Umfrage bestätigt das Bild, dass die Ostschweiz so etwas wie die Hochburg der Staatsverweigerer ist. Die Betreibungsbehörden in Schaffhausen etwa sprechen von einem Mehraufwand, der sich «seit mehreren Jahren auf hohem Niveau» hält.
Neu ist das Phänomen aber auch in anderen, ländlicheren Kantonen zu spüren, etwa in Appenzell Innerrhoden und Ausserrhoden, Nidwalden, Solothurn oder im Wallis. Vor allem kleine Betreibungsämter auf dem Land seien teils massiv betroffen, so die Rückmeldungen, und kämen schnell an ihre Kapazitätsgrenzen.
Warum ausgerechnet Betreibungsämter?
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Wer eine Rechnung nicht bezahlt, bekommt es womöglich irgendwann mit dem Betreibungsamt zu tun. Die Betreibungsbehörden treiben für die Gläubiger, also jene Unternehmen oder Behörden, welche die Rechnungen verschickt haben, das Geld ein. Sie verfügen dafür über grosse Kompetenzen und können dem Schuldner etwa den Lohn pfänden oder seine Wohnung zwangsversteigern.
Für Staatsverweigerer sind die Betreibungsbehörden oft der erste Direktkontakt mit dem Staat. Das Betreibungswesen ist je nach Kanton sehr unterschiedlich organisiert: Teils ist ein kantonales Betreibungs- und Konkursamt zuständig, andernorts sind die Ämter kommunal organisiert.
«Oft folgen Einschüchterungsversuche»
Die Betreibungsbehörden haben mehr zu tun, weil Staatsverweigerer und -verweigerinnen zum Beispiel «lange Diskussionen am Schalter» und «unverhältnismässig umfangreichen Schriftverkehr» erzeugten. Die Behörden betonen unisono: Schlussendlich müssten die Staatsverweigerer die Rechnungen zahlen, ihnen werde zum Beispiel der Lohn gepfändet. Das Querulantentum ist also nicht erfolgreich, aber für die Beamtinnen und Beamten zeitintensiv.
Zudem müssten verschiedene Ämter auch öfters die Polizei beiziehen, was wiederum aufwändiger sei. Auch Aggressionen und Drohungen würden zunehmen, schreiben verschiedene Betreibungsämter in der SRF-Umfrage. Und Staatsangestellte würden teils persönlich betrieben oder angezeigt.
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Thomas Winkler kennt Staatsverweigerer aus eigener Erfahrung. Er ist Leiter des Betreibungsamtes Dietikon/ZH.
Aus News-Clip vom 13.09.2023.
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Solche Strafanzeigen gegen Mitarbeitende kennt Thomas Winkler, Leiter des Betreibungsamtes in Dietikon ZH. In den meisten Fällen würden diese nicht angenommen, dann sei der Fall schnell erledigt. «Doch ab und zu muss man halt doch bei der Polizei aussagen», sagt Winkler. Das koste dann entsprechend Zeit und Nerven.
Telegram als Multiplikator
Eine mögliche Erklärung für den zunehmenden Mehraufwand ist, dass die Staatsverweigerer vermehrt organisiert vorzugehen scheinen. Etliche Webseiten und Telegramkanäle verbreiten seitenlange Anleitungen und Mustervorlagen, wie der Staat und insbesondere Betreibungsämter belastet und belästigt werden können.
In Telegram-Chats findet ein reger Austausch statt. Es geht oft um Tipps, wie Widerstand geleistet werden kann.
Szenekennerin «Helvetia» gibt exklusiven Einblick
SRF Investigativ sprach mit einer Szenekennerin, welche die Staatsverweigerer in der Schweiz seit Jahren beobachtet und so gut kennt wie wohl nur wenige. Sie will zu ihrem eigenen Schutz anonym bleiben und tritt unter dem Namen «Helvetia» auf. Man dürfe sich die Szene nicht wie eine grosse Organisation vorstellen, sagt sie. Es gebe verschiedenste Gruppierungen, deren Anhänger mal hier an ein Seminar gingen, mal dort in einem Chat aktiv seien.
Laut ihrer Beobachtung hat sich die Anhängerschaft während der Corona-Pandemie vervielfacht. Die Behauptung, die Schweiz sei kein Staat und die Behörden agierten ohne Legitimation, sei damals bei Vielen auf offene Ohren gestossen, sagt «Helvetia». Sie geht heute mindestens von einer fünfstelligen Zahl von Staatsverweigerern aus.
Warum darf der Staat überhaupt Steuern verrechnen?
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Staatsverweigerer argumentieren laut Rechtsexperten oft pseudojuristisch und behaupten viel Falsches. So ist es zwar zum Beispiel richtig, dass der Beamtenstatus seit gut 20 Jahren abgeschafft ist. Beamtinnen und Beamte werden umgangssprachlich noch so genannt, sie sind aber grossmehrheitlich Angestellte, denen auch gekündigt werden kann. Nun hat dies aber nichts an ihren Kompetenzen, zum Beispiel Steuerschulden einzutreiben, geändert.
Die andere Frage, die Staatsverweigerer antippen, ist eine weit grössere: Wie legitimiert sich der Staat? Warum darf er Steuern verrechnen? Staatsrechtlerinnen beantworten diese Fragen so: Der Staat darf so lange Macht ausüben und Steuern eintreiben, wie er vom Staatsvolk als Ganzes akzeptiert und getragen ist. Mit Steuergeldern werden etwa Strassen, der ÖV, Schulen, Spitäler oder die öffentliche Sicherheit finanziert.
Wie viele Steuern eingezogen werden und wofür wie viel Geld ausgegeben wird, ist wiederum Aufgabe der Politik. Diese ist in einem demokratischen Staat wie der Schweiz durch das Volk legitimiert. Eine Betreibungsbeamtin darf also letztlich Steuerschulden eintreiben, weil das Volk das so will und beschlossen hat – direkt durch Abstimmungen oder indirekt durch gewählte Politikerinnen und Politiker.
Woher kommen die Staatsverweigerer?
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Die Staatsverweigerer-Szene in ihrer heutigen Ausprägung sei in der Schweiz seit mindestens 2015 spürbar. Das sagt eine Szenekennerin, die als «Helvetia» für das anonyme Recherche-Forum «Sonnenstaatland» agiert. In diesem Forum werden Informationen zu Staatsverweigerern aus dem ganzen deutschsprachigen Raum zusammengetragen.
Die Szenekennerin sagt: Geholfen habe der Szene auch, dass die Vernetzung über das Internet zunehmend einfacher sei. Ein auslösender Faktor sei zudem die Wirtschaftskrise Ende der 2000er -Jahre gewesen. So seien am Rande der Occupy-Bewegung einzelne Gruppierungen aufgetaucht, die Kapitalismuskritik mit Verschwörungsideologien vermischt hätten. Diese hätten sich quasi zur Keimzelle der Schweizer Staatsverweigerer-Szene entwickelt. Hinzugekommen seien Einflüsse von ähnlichen Gruppierungen aus den USA und Kanada, die schon deutlich länger bestünden, sowie aus der Reichsbürger-Szene in Deutschland.
Der Staat soll zusammenbrechen
Die Behörden mit Mehrarbeit an ihre Grenzen zu bringen, ist erklärtes Ziel und bewusst gewähltes Mittel der Staatsverweigerer. Dies geht aus etlichen einschlägigen Telegram-Posts hervor. «Damit hältst du die Verbrecherbande von ihrer sonstigen 'Arbeit‘ ab», schreibt etwa ein Nutzer. Und an anderer Stelle: Man müsse die Behörden so beschäftigen, dass «das System irgendwann zusammenbricht.»
Das sagen die Staatsverweigerer
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SRF Investigativ hat mehrere Staatsverweigerer kontaktiert, die auf Telegram und mit eigenen Internetseiten besonders aktiv sind. Sie bieten etwa Austauschplattformen an, schreiben Bücher oder halten Vorträge. Sämtliche Interviewanfragen wurden abgelehnt oder blieben unbeantwortet. Ein Staatsverweigerer nahm schriftlich Stellung und schreibt, dass er dank seiner Plattform von vielen Missständen erfahren habe. Es gebe «unter den sogenannten Behörden und deren Angestellten viele Schmutzfinken». Die ‚Betreibungsämter‘ (Anm. d. Red: Die Anführungszeichen sind vom Konfrontierten gesetzt) würden widerrechtlich vorgehen und auch etwa Briefe unter falschem Namen zustellen. SRF und die Mainstreammedien seien «nur noch als Lügenpresse» zu deklarieren. Der betreffende Staatsverweigerer macht in Telegram-Nachrichten auch Aussagen mit Gewaltbezug. Dazu schreibt er: «Würde ich Gewalt unterstützen, wäre schon längst etwas in der Richtung geschehen, nein Danke, ich und sämtliche Selbstdenker sind Pazifisten.»
Betreibungsämter rüsten auf
Die Betreibungsbehörden versuchen derweil, einen professionellen Umgang mit den Querulanten zu finden. Mitarbeitende werden in Kursen speziell geschult, wie sie mit Staatsverweigerern umgehen sollen. Einzelne Ämter, so zum Beispiel Weinfelden TG, haben mit Überwachungskameras und Alarmknöpfen aufgerüstet.
«Diese Personen profitieren ja auch vom Staat», sagt Roger Wiesendanger, Leiter des Amtes für Betreibungs- und Konkurswesen im Thurgau. «Sie nutzen Strassen und Verkehrsmittel, das muss bezahlt werden.» Er sei ein Fan der Demokratie, die ganze Thematik stimme ihn deshalb traurig. Wiesendanger wünscht sich mehr Unterstützung aus der Politik: «Nicht, dass man wartet, bis etwas passiert.»
Umfrage bei Betreibungsämtern: «Haben Sie einen Mehraufwand durch Staatsverweigerer?»
26:39
Video
Staatsverweigerer – Sie zahlen keine Steuern und bedrohen Beamte
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