- Aufgrund von Recherchen von «Rundschau», RTS und WoZ über Gewalt in Asylzentren hat das Staatssekretariat für Migration (SEM) eine externe Untersuchung eingeleitet.
- Alt Bundesrichter Niklaus Oberholzer untersucht Gewaltvorwürfe in Asylzentren des Bundes.
- Er geht der Frage nach, ob gegenüber einzelnen Asylsuchenden unverhältnismässiger Zwang angewendet wurde.
- Derweil wurden 14 Sicherheitsleute suspendiert.
Wie SEM-Chef Mario Gattiker gegenüber der «Rundschau» sagt, werde auch untersucht, inwiefern Einsatzprotokolle durch das Sicherheitspersonal nicht korrekt erstellt worden seien.
Im Zusammenhang mit der Untersuchung hat das SEM 14 Sicherheitsleute suspendiert. Sie wurden für weitere Einsätze in Bundesasylzentren gesperrt. Diese arbeiteten in den Zentren von Boudry NE, Altstätten SG und Basel.
Vorgang verfälscht
Seit Längerem gibt es Vorwürfe, dass Sicherheitsleute unverhältnismässige Gewalt gegen Asylsuchende ausüben. Das SEM hat bisher immer bestritten, dass es in den Asylzentren ein Gewaltproblem gebe. Recherchen zeigen jetzt: In mehreren Fällen stellte das Sicherheitspersonal die Vorgänge in Rapporten verfälscht dar.
So im Fall von Karim T. in Basel. Er sagt der «Rundschau», ein Securitas-Mann habe ihn provoziert und geschlagen. Im Securitas-Bericht steht, der alkoholisierte Asylsuchende sei durchgedreht und habe versucht, den Sicherheitsmitarbeiter zu attackieren. Er sei nach draussen begleitet worden.
Zum Vorfall liegt der «Rundschau» auch der Bericht eines Betreuers vor. Dieser stützt die Darstellung von Karim T. und schreibt, der Securitas-Mitarbeiter hätte Karim T. provoziert, ins Gesicht geschlagen, so fest «dass er auf den Fussboden gefallen ist.» Der Sachverhalt ist strittig. Aus diesem Grund hat das SEM nun den Fall an die Basler Justiz übergeben, ein Verfahren wurde eröffnet.
Kein Wort über Verletzungen
Ein weiterer Fall: Altstätten – es geht um Alpha D. Er war zum Zeitpunkt des Ereignisses 16 Jahre alt. Ende Dezember trug er laut seinen Aussagen nach einer «Deeskalation» – dem Begriff des Sicherheitsdiensts, wenn mit körperlichem Zwang jemand beruhigt wird – grobe Verletzungen davon: mehrere geprellte Rippen und wackelnde Zähne.
Im Rapport der Securitas heisst es, man habe ihn «am Boden fixiert». An keiner Stelle verweist der Bericht auf eine Gewalteinwirkung, die auf die Verletzungen hindeutet, die später im Spital diagnostiziert wurden. Nur durch die Meldung eines Sozialpädagogen wurde die Polizei aktiv. Der Fall liegt nun bei der Staatsanwaltschaft.
Der Sozialpädagoge sagt gegenüber der «Rundschau», nach dem Vorfall sei er von der Regionalleitung kritisiert worden: «Mir wurde nicht gesagt, dass ich nicht richtig gehandelt habe, aber dass es nicht in meinem Aufgabenbereich gehörte. Ich sollte mich für das Handeln entschuldigen, weil ich den Meldeweg nicht eingehalten habe». Er entschuldigte sich nicht, sondern kündigte.
Tonaufnahme belegt Verfälschung
«Rundschau», RTS und WOZ liegt eine Tonaufnahme vor, die zeigt, wie ein Rapport verfälscht wurde. Die Aufnahme aus dem Bundesasylzentrum Boudry wurde von einer Asylsuchenden heimlich gestartet, die kurz danach von Sicherheitsleuten der Protectas in einen Container, den sogenannten «Besinnungsraum», gesperrt wurde. Das Handy der Asylsuchenden wurde konfisziert, und zeichnete im Büro des Sicherheitspersonals alles auf.
Der Sicherheitsdienst schrieb im Bericht zum Vorfall, die Asylsuchende habe das Personal angegriffen und geschlagen. Die Asylsuchende bestreitet dies.
In der Aufnahme hört man, wie die Sicherheitsleute im Büro den Bericht schreiben: «Wir schreiben, sie hat den Angestellten geschlagen, bei der Schulter …». Ein anderer Mitarbeiter sagt: «Auf den Brustkorb!». Noch ein Mitarbeiter sagt: «Auf den Brustkorb, das ist besser, das ist rote Zone.» Einige Minuten später hört man eine Mitarbeiterin sagen: «In gewissen Rapporten übertreibe ich manchmal die Realität etwas, das rechtfertigt die Dinge besser.» Man hört, wie andere Mitarbeitende zustimmen.