Der Kampf der Rockerbanden ist letzten Samstag erneut eskaliert. Bilder zeigen: Mitglieder der Rockerbande Hells Angels dringen kurz nach Mitternacht in ein Bistro am gut besuchten Plainpalais ein. Dann eröffnen Leute mit Bandidos-Emblemen auf der Jacke das Feuer auf ihre Gegner. Wie durch ein Wunder werden keine Gäste des Cafés verletzt.
Es ist der jüngste Vorfall einer Serie von Gewaltexzessen zwischen den Rockerbanden. Für schweizweite Schlagzeilen sorgte der Fall in Belp BE im Mai 2019. Über 30 Männer waren in die Auseinandersetzung verwickelt, fünf Personen wurden verletzt, zwei davon schwer.
Monsterprozess mit vielen Angeklagten
Der Hintergrund: Anhänger des Motorradclubs Bandidos wollten ein Clublokal eröffnen, davon bekamen die Hells Angels und die befreundeten Broncos Wind und fuhren hin. Ein Messer wird gezückt, es fallen Schüsse.
Nun müssen sich ab 30. Mai während eines Monats 22 Männer vor dem Regionalgericht Bern-Mittelland verantworten. Sämtlichen Beschuldigten wird vorgeworfen, sich an einem Raufhandel beteiligt zu haben. Bei zwei Männern geht es ausserdem um versuchte vorsätzliche Tötung, eventuell schwere Körperverletzung. Der Hauptbeschuldigte, laut Anklageschrift ein Bandidos-Anhänger, soll mehrfach mit einer Faustfeuerwaffe geschossen und einen Mann schwer verletzt haben.
Es wird ein Monsterprozess mit ungewöhnlich vielen Angeklagten. Beat Luginbühl, Anwalt des Hauptbeschuldigten, begründet: «Alle Beteiligten müssen vom selben Gericht beurteilt werden, das schreibt die Strafprozessordnung vor. Sonst besteht die Gefahr, dass es widersprechende Urteile gäbe.» Dementsprechend viele Akten gibt es zu studieren.
Territoriale Machtansprüche sorgen für Reibereien
Der Fall Belp war der vorläufige Höhepunkt in einer Reihe von Konflikten in der Szene: Immer wieder geraten Mitglieder von Motorradclubs aneinander: 2007 stürmen Dutzende Hells Angels in Bützberg BE ein Fest eines anderen Motorradclubs und prügeln sich, dasselbe geschieht 2010 in Ehrendingen AG, 2011 in Baden AG oder 2018 in Oftringen AG – immer wieder gab es Sachschaden, Verletzte und Gerichtsprozesse.
Für das Bundesamt für Polizei Fedpol ist klar: In der Schweizer Szene herrscht Konfliktpotential. Es gehe primär um territoriale Machtansprüche, immer wieder auch um geschäftliche Interessen, sagt Mediensprecherin Berina Repesa. «Es laufen immer wieder Verfahren gegen einzelne Club-Mitglieder wegen Gewalt- oder Waffendelikten – das sind keine Einzelfälle. Das Konfliktpotential existiert auch in der Schweiz.»
Audienz bei den Hells Angels
Doch wie sehen es die Rocker selbst? 10vor10 bekommt eine der seltenen Audienzen bei den Hells Angels, im Clubhaus in Zürich-Affoltern.
«Natürlich gibt es zwischendurch mal wieder Uneinigkeiten, aber von einem Rockerkrieg zu reden, das ist Blödsinn!», sagt Patrick Hermetschweiler, der Präsident der Zürcher Hells Angels. Es herrsche Frieden in der Rockerszene.
Von einem Rockerkrieg zu reden, ist Blödsinn.
Und sein Kollege Pasquale, der seinen Nachnamen nicht preisgeben will, fügt an: «Ich glaube, solche Vorfälle passieren überall, die haben nichts mit der Motorradclub-Szene zu tun. Was an einem Wochenende in einer Grossstadt alles passiert, ist doch viel schlimmer!»
Über ihr Verhältnis zu den Bandidos oder zu anderen Motorradclubs wollen die Hells Angels nicht reden. Und auch zum Fall Belp gibt es keinen Kommentar. Was ist da also los in der Schweizer Rockerszene? Am Prozess ab Montag wird es auf diese Fragen wohl kaum abschliessende Antworten geben.