Die Stalking-Affäre um CVP-Nationalrat Yannick Buttet hat Folgen: Parlamentsmitglieder erhalten nun eine unabhängige Anlaufstelle, bei der sie sich im Fall von sexueller Belästigung anonym melden können.
SVP-Nationalrätin Céline Amaudruz redet nicht mehr. Vor knapp zwei Wochen hat sie gegenüber Télévision Suisse Romande erklärt, sie sei von Ratskollegen sexuell belästigt worden. «Das ist mir leider mehrmals passiert. Das ist soweit gegangen, dass ich mir zweimal überlege, wohin ich gehe und ob ich mit gewissen Personen in den Lift steige oder nicht», sagte sie dem Sender.
Vom Opfer zur Täterin
Die Reaktionen von Ratskollegen fielen heftig aus. SVP-Nationalrat Adrian Amstutz forderte in der letzten Fraktionssitzung, sie solle Namen nennen und Klagen einreichen, sonst gerieten alle Männer unter der Bundeshauskuppel unter Generalverdacht.
In jedem Fall muss die eigene Würde geschützt werden, daher bin ich klar der Meinung: Man muss den Namen nicht sagen.
Ein anderer Parteikollege, Nationalrat Roger Köppel, schrieb in einem Kommentar, dass er Amaudruz «noch nie ohne kurzen Rock oder hautenge Bluse gesehen habe». Seine Aussage impliziert, Amaudruz sei selber schuld. Das ist ein Muster, das in Fällen von sexueller Belästigung oft zu beobachten ist: Das Opfer wird zur Täterin gemacht.
Nationalrätin Amaudruz verliess die SVP-Fraktionssitzung in Tränen. Seither schweigt sie. Fraktionspräsident Thomas Aeschi übernimmt keine Verantwortung. Er sage nichts, ist sein einziger Kommentar.
Beratung von Profis für Betroffene
Fälle wie dieser illustrieren, weshalb es eine anonyme Anlaufstelle braucht, wie sie der Bund Schweizer Frauenorganisationen Alliance F gefordert hat. Jetzt hat das Parlament eine solche Stelle geschaffen und die unabhängige Fachstelle Mobbing und Belästigung probeweise für ein Jahr damit beauftragt. Das hat ein Gremium des National- und Ständerates entschieden.
Es ist anonym, es ist professionelle Hilfe vor Ort und vor allem Beratung.
Die Fachstelle Mobbing und Belästigung wird den Rätinnen und Räten in Bern und Zürich ab nächstem Jahr Gespräche oder telefonisch Beratungen in Deutsch, Französisch und nach Voranmeldung auch in Italienisch anbieten – auf Kosten des Parlaments. Die grüne Nationalrätin Maya Graf ist Ko-Präsidentin von Alliance F ist zufrieden. «Es ist anonym, es ist professionelle Hilfe vor Ort und vor allem Beratung.»
Was nützen anonyme Aussagen?
Maya Graf ist nicht einverstanden mit der Forderung von Amstutz, dass Frauen Namen nennen sollten, wenn sie sexuell belästigt würden. «Das muss die betroffene Person selbst entscheiden. In jedem Fall muss die eigene Würde geschützt werden, daher bin ich klar der Meinung: Man muss den Namen nicht sagen.»
Es gebe viele Gründe, bei diesem heiklen Thema diskret zu sein, so Graf. Auch anonyme Aussagen schärften das Bewusstsein über sexuelle Belästigung und führten dazu, dass darüber diskutiert werde. «Das ist wichtig. Das Problem wird nie ernsthaft angegangen, wenn man Opfer einfach mundtot macht.»