Es ist eine verrückte Geschichte: 1882 erhielt Johann Caspar Lavater ein Ehrengrab – direkt bei der Kirche St. Peter in Zürich. Und diese Ehre war verdient: Johann Caspar Lavater, gestorben 1801, war einer der wichtigsten Aufklärer der Schweiz, mit einem Beziehungsnetz, das sich über ganz Europa ausbreitete. Knapp ein Jahrhundert später, 1974, sollte sein Grab restauriert werden. Doch im Inneren fand man nicht die Überreste des Theologen und Philosophen, sondern jene einer alten Frau. Untersuchungen zeigten: Die Knochen stammten höchstwahrscheinlich von seiner Ehefrau, von Anna Lavater.
Wie Anna ins Ehrengrab ihres Mannes gelangte und wo die Überreste von Johann Caspar Lavater geblieben sind, weiss niemand. Anna Lavaters Knochen lagen die letzten rund 50 Jahre im anthropologischen Institut. Bis jetzt. In einer feierlichen Zeremonie wurde sie am Donnerstag zurück ins Ehrengrab am St. Peter gelegt.
Eier kochen für Dichterfürst und Herzog
«Damit ehren wir Anna Lavater, eine bedeutende Zürcherin», erklärt Ursula Caflisch-Schnetzler von der Sammlung Johann Caspar Lavater. «Ohne ihre Mithilfe wären die Errungenschaften ihres Mannes nicht möglich gewesen.»
Denn Anna Lavater managte den Haushalt, in dem es laut Ursula Caflisch zuging wie in einem Bienenhaus. «Das 'Who is who' des 18. Jahrhunderts war bei den Lavaters zu Gast», erklärt sie. Zum Beispiel die angeblich schönste Frau der damaligen Zeit, Maria Antonia von Branconi, das künftige Zarenpaar von Russland, Herzog Carl August von Sachsen – der bevorzugt «gesottene Eier» verspeiste – und natürlich auch Johann Wolfgang von Goethe.
Die Frau im Hintergrund ging bald vergessen
Doch Anna kümmerte sich nicht nur um illustre Gäste, sondern als Pfarrfrau auch um die einfachen Leute. Hinzu kam ihre eigene Familie: Anna gebar acht Kinder, nur drei überlebten die frühe Kindheit. Zudem nahm sie am gesellschaftlichen Leben teil, in einer Zeit, in der Frauen begannen, sich an philosophischen und literarischen Diskussionen zu beteiligen.
Bei all ihrer Unterstützung blieb Anna Lavater stets im Hintergrund. Und so ging es ihr wie vielen Frauen in der Geschichtsschreibung: Sie wurde vergessen, während ihrem Mann ein Ehrengrab gewidmet wurde. Nur: Könnte man dies heute nicht ändern und Anna Lavater ein eigenes, prominentes Grab schaffen, statt sie erneut im Grab ihres Gatten zu beerdigen?
«Für ein derartiges Ehrengrab braucht es europäische Ausstrahlung. Das war bei Anna nicht der Fall», sagt Ursula Caflisch-Schnetzler. Sie verweist aber auf die neue Plakette, die bezeugt, dass Anna Lavater im Ehrengrab ihres Mannes liegt. Damit, so hofft Ursula Caflisch-Schnetzler, werde der eine oder die andere auf sie und vielleicht auch auf ihre Verdienste aufmerksam.