«Bis jetzt habe ich ungefähr 20 Anrufe aufs Handy und mehr als 30 auf die Festnetznummer bekommen», sagt Ruedi Wipf, einer von vielen Kunden, die sich bei «Kassensturz» über unerwünschte Telefonanrufe von Krankenkassenmaklern beschwert haben. «Obwohl wir bei den Festnetznummern einen Sterneintrag habe, kommen die Anrufe trotzdem. Und das ist etwas, das mich einfach nervt», sagt Wipf.
«Kassensturz» wartet mit versteckter Kamera
Wer steckt hinter diesen Anrufen? «Kassensturz» sammelt die Telefonnummern, von denen verärgerte Zuschauer belästigt wurden. Und ruft sie an. Doch oft ist niemand erreichbar. Ab und zu antwortet eine Computerstimme auf Englisch. Nur bei ganz wenigen Nummern meldet sich jemand. Sparen bis zu 30 Prozent sei möglich, verspricht eine Callcenter-Agentin.
Weitere «Kassensturz»-Reporter lassen sich auf die lästigen Anrufe ein. Sie vereinbaren Beratungstermine. In einer Wohnung versteckt «Kassensturz» Mikrofone und Kameras. Wer wird erscheinen? Können wir tatsächlich so viel Prämien sparen? Und wie gut ist die Beratung? Reporter Philippe Odermatt empfängt die Berater:
1. Termin: «Swiss Finanz Beratung»
Angekündigt ist: «Finanz Info Institut» Es erscheinen aber zwei Männer der Firma «Swiss Finanz Beratung AG».
Positiv: Als erstes stellt sich der Versicherungsberater vor. Er überreicht dem Reporter seine Visitenkarte und weist sich mit der Identitätskarte aus.
Darauf stellt er ausgiebig seine Firma vor. Der Makler sucht auf dem Vergleichsportal Priminfo nach Kassen. Transparent zeigt er dem Reporter die Ergebnisse.
Aber er empfiehlt nicht die günstigste Versicherung. Der Reporter will ja in erster Linie sparen, deshalb gäbe es nur ein korrektes Angebot: Die günstigste Kasse mit Sparmodell und höchster Franchise: In seinem Fall die Assura. Doch der Makler schlägt eine andere Kasse vor: «Haben Sie schon etwas gehört von der CSS? Die würde ich Ihnen empfehlen.»
Gleichzeitig redet er die günstigeren Kassen schlecht. Sein Angebot für die Grundversicherung steht schnell fest: die CSS. Eine Fehlberatung: Diese ist aber pro Jahr knapp 400 Franken teurer als die günstigste Kasse.
«Kassensturz» spielt dem Fachmann Ruedi Ursenbacher von der Beratungsfirma Fairsicherungsberatung das aufgezeichnete Beratungsgespräch vor. Er beurteilt für «Kassensturz» die Qualität der Beratung. «In diesem Vergleich ist die günstigste Kasse Assura. Warum man nicht diese empfahl ist für mich nicht nachvollziehbar», sagt Ursenbacher.
Zum Vorwurf schreibt die «Swiss Finanz Beratung» gegenüber «Kassensturz»: Die Leistungen im KVG seien zwar bei allen Krankenkassen die gleichen, aber es gebe grosse Unterschiede im Service und Kundenfreundlichkeit.
2. Termin: «Swiss Sales Group»
Angekündigt ist: Das «Informationszentrum für Versicherungen». Es erscheinen wiederum zwei Berater. Aber von welcher Firma? Auch auf Nachfrage geben sie trotz gesetzlicher Informationspflicht nicht bekannt, für wen sie arbeiten.
Nur soviel: «Wir sind eine Vermittlerfirma. Wir arbeiten mit den grössten Versicherungen der Schweiz. Mit Sanitas, Concordia, Visana, Sympany.» Erst gegen Schluss des Gesprächs wird klar: Sie kommen von der Swiss Sales Group.
Auch diese beiden Berater schlagen einen Wechsel vor. Die Beraterin tippt eifrig im Computer. Was genau, bleibt dem Reporter verborgen. Dann schlägt sie die folgende Kasse vor: Die Sympany. Doch der Rat ist falsch. In unserem Fall ist nicht Sympany die günstigste Kasse, sondern die Assura.
Danach geht es im Gespräch um Zusatzversicherungen. Die Vermittler empfehlen dem Reporter, auch seine Zusatzversicherungen zur Sympany zu wechseln. Sie fragen nach dem Gesundheitszustand, denn bei Zusatzversicherungen können Krankenkassen Neukunden auch ablehnen, wenn sie ein Risiko darstellen. Der Reporter sagt, er sei wegen eines Kreuzbandrisses vor vier Jahren am Knie operiert worden.
«Das wird vermutlich kein Problem sein», sagen die Berater. Falsch. Die Knieverletzung könne sehr wohl zu einem Ausschluss führen, sagt Ruedi Ursenbacher. Wenigstens geben die Berater die Knieverletzung korrekterweise im Gesundheitsfragebogen an.
Ruedi Ursenbacher kritisiert, dass die Berater dem Kunden mit möglichen Schreckens-Szenarien Angst machen, um möglichst viele Zusatzversicherungen zu verkaufen. «So werden ganz viele Leute in der Schweiz mit Versicherungen eingedeckt, die sie gar nicht brauchen. Und dort wo sie den Bedarf haben, nämlich eine preisgünstige, solide, gute Grundversicherung zu haben, wird etwas anderes angeboten.»
Der Anwalt der Swiss Sales Group nimmt gegenüber Kassensturz Stellung. Er bestreitet die Vorwürfe: Die Makler hätten sich zu Beginn gesetzeskonform vorgestellt. Die Empfehlung der Sympany stütze sich auf die Erfahrung der Berater. Bei den Zusatzversicherungen hätten sie sich an der bereits bestehenden Deckung orientiert. Die Maklerfirma gibt nicht bekannt, woher sie den Termin hatte und wie viel Provision sie für die Vermittlung der Policen erhalten.
Ein Ex-Makler packt aus
Ein Mann, der bis vor kurzem selbst als Makler gearbeitet hat, weiss mehr darüber. Er verkaufte jahrelang Versicherungsanträge. Der ehemalige Berater kennt das Geschäft mit den Beratungsterminen, das im Hintergrund läuft.
«Diese Anrufe kommen von Callcentern in Pristina im Kosovo. Sie kaufen Schweizer Telefonnummern und machen Termine in der Schweiz ab», sagt er. Die Callcenter-Mitarbeiter hätten einen detaillierten Leitfaden mit genauen Fragen. Den Beratern in der Schweiz würden die abgemachten Termine online auf einer Internetseite angezeigt.
Kam es bei einem Kunden zum Abschluss, erhielt der Callcenter-Mitarbeiter im Kosovo eine Provision. Das verdiente der Makler folgendes: «Wir bekamen pro Abschluss zwischen 350 und 700 Franken.» 350 Franken gab es für Policen mit ambulanten und Spital-Zusatzversicherungen plus einem weitern «Baustein». «Für jeden weitere Zusatzversicherung gab es 50 Franken mehr. Verkaufte man halbprivat, so gab es 100 Franken mehr, privat 200 Franken mehr», so der ehemalige Makler.
Er erzählt weiter, sie hätten nicht die günstigsten Kassen angeboten, sondern diejenigen, mit denen sie zusammenarbeiteten. «Wir schauten jeweils im unserem System nach und sagten den Kunden in eurer Region passt zum Beispiel nur die CSS, weil die Leistungen und der Preis gut seien.» Die Kunden hätten dies akzeptiert.
3. Termin mit «SAM Versicherungen»
Angekündigt ist: Schweizer Budget Optimierung. Es erscheinen Vertreter der SAM Versicherungen. Auch hier zwei Personen! Bei der Grundversicherung verlieren die beiden keine Zeit. Auch sie empfehlen die Krankenkasse Sympany. Zufall? Wohl kaum. SAM Versicherungen und die Firma Swiss Sales Group haben dieselbe Geschäftsadresse.
Nur bei einem Abschluss gibt es Geld. Deshalb drängen die Berater zur Unterschrift. Die Berater erklärten: «Das ist eine Anfrage. Wenn Sie angenommen werden, wird es automatisch zu einem Antrag. Aber man muss ja mal zuerst die Versicherung anfragen, ob sie sie annimmt. Weil das ist ja nicht immer garantiert.»
Ruedi Ursenbacher korrigiert: «Eine Anfrage gibt es nicht. Man unterschreibt einen Antrag. Und wenn man aufgenommen wird, dann haftet man dafür. Dieses Vorgehen der Makler ist in meinen Augen eine Bauernfängerei.»
SAM Versicherungen schreibt dazu via Anwalt: Nicht nur der Preis, auch die Dienstleistung zähle bei einer Kasse. Der Reporter sei nicht zur Unterschrift gedrängt worden. Nach Einreichen eines Antrags werde zudem jeder Kunde noch einmal telefonisch kontaktiert werde, ob er mit dem Wechsel einverstanden sei.
«Kassensturz» hat auch die Krankenkassen konfrontiert, welche von den Maklern empfohlen wurden. Die CSS hat daraufhin gehandelt. Sie schreibt, die toleriere keinen Verstoss gegen die gegenseitig vereinbarten Regeln, insbesondere keine Kaltakquise. Sie hat deshalb die Zusammenarbeit mit der Firma «Swiss Finanz Beratung» fristlos gekündigt. Sympany schreibt, mit der Swiss Sales Group bestehe keine Zusammenarbeit. Man arbeite mit SAM Versicherungen zusammen und gehe Hinweisen zu möglichen Verstössen konsequent nach.