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Finanz-Missbrauch von Senioren Wenn der Täter aus der Familie kommt

Jeder fünfte Schweizer Senior wird laut Studie finanziell ausgenützt. Regelmässig geschieht dies im engsten Kreis.

400 Millionen Franken: So viel Geld wird Schweizer Senioren gemäss einer Studie von Pro Senectute jährlich mit fiesen Tricks aus der Tasche gezogen. Was kaum bekannt ist: Ältere Menschen werden auch dort über den Tisch gezogen, wo sie sich eigentlich sicher fühlen sollten – in der eigenen Familie.

Jeder Zehnte über 85-Jährige betroffen

Eine repräsentative Umfrage von Pro Senectute zeigt: Finanzieller Missbrauch innerhalb des Familien- oder Vertrautenkreises kommt bei den über 55-Jährigen hochgerechnet bei 4,6 Prozent vor. Bei den über 85-Jährigen sind es gar 9,6 Prozent – jede zehnte Person ist also davon betroffen.

Manche Kinder wollen ihr Erbe sichern, deshalb lassen sie die Eltern nicht ins Altersheim.
Autor: Eva Schütz Sozialarbeiterin Pro Senectute

Eva Schütz, Sozialarbeiterin bei Pro Senectute Aargau, kennt zahlreiche solche Fälle. Zum Beispiel: Ein Sohn zieht bei seiner alten Mutter ein und weigert sich, Miete zu zahlen. «Die Ergänzungsleistung rechnet natürlich nur die halbe Miete an, da sie davon ausgeht, dass der Sohn die andere Hälfte bezahlt», weiss Eva Schütz.

Als weiteres Beispiel nennt Schütz die Verweigerung, einen Senioren ins Altersheim ziehen zu lassen. «Es gibt Situationen, wo ein Altersheimeinzug gut wäre. Die Kinder verhindern oder verzögern das aber, um ihr Erbe zu sichern. Das erleben wir immer wieder.»

Dennoch: In erster Linie ist es der Ehegatte oder die Ehegattin, die das Gegenüber finanziell missbraucht. Erst die zweithäufigsten Täter sind die Kinder. «Prävention im familiären Kontext fängt sicher ganz früh an. Man muss der Familie erlauben, Grenzen zu setzen und zu respektieren. Jeder muss sich getrauen, Nein zu sagen, ohne dafür zum Beispiel mit Liebesentzug bestraft zu werden.»

Pro Senectute hat die Studie zusammen mit Experten analysiert. Mit dabei: Bruno Rölli, 30 Jahre lang Familienrichter am Kantonsgericht Luzern. Heute arbeitet er als Berater für die unabhängige Anlaufstelle Kindes- und Erwachsenenschutz (Kescha). Ihn erstaunen die Zahlen nicht. «Die heile Familienwelt sieht man hier nicht.»

Laut Studie sprechen fast zwei Drittel der Betroffenen mit niemandem über den erlittenen finanziellen Missbrauch. «Man schämt sich, dass man Opfer wurde. Man hat trotzdem noch ein Schutzgefühl gegenüber den nächsten Verwandten und will sie nicht an den Pranger stellen, vielleicht versucht man das innerfamiliär zu regeln», sagt Bruno Rölli.

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