Das Leben der Geschwister Luise und Leopold böte Stoff für eine packende Fernsehserie. Ähnlich wie «The Crown» – nur besser. Die Nachfahren des Habsburger Kaiserhauses warfen ihre königlichen Privilegien über den Haufen und flohen im Jahre 1902 in die Schweiz. Mit dabei: Eine ehemalige Prostituierte und ein Sprachlehrer, die Affären der beiden. «Eine abenteuerliche Geschichte» sei diese Flucht gewesen, sagt der Zuger Autor Michael van Orsouw. Er hat ein Buch über die beiden geschrieben.
Da ist einerseits Erzherzog Leopold Ferdinand von Österreich-Toskana. Er hatte sich in die ehemalige Prostituierte Wilhelmine Adamovic verliebt und wollte sie heiraten. Ein Wunsch, der in der damaligen Zeit richtig skandalös war. «Es gab zwar immer wieder Adelige, die Verhältnisse mit Prostituierten hatten. Doch heiraten, das ging nicht», sagt Autor van Orsouw.
Blitzschnelle Einbürgerung
Für Leopold blieb nur eine Möglichkeit: die Flucht. Zusammen mit seiner Schwester reiste er im Jahr 1902 mitten in der Nacht aus Österreich ab und kam in die Schweiz. Da nahm er den bürgerlichen Namen Leopold Wölfling an und verzichtete fortan auf seinen adeligen Titel und seinen Rang. Später heiratete er seine Geliebte.
Sie liessen sich in Zug in der Villa Seeburg direkt am See nieder. Zwei Jahre später wurde Leopold Bürger der Stadt Zug, die Bevölkerung sprach sich einstimmig dafür aus. «Man musste damals nur zwei Jahre in der Schweiz gewohnt haben, bevor man sich einbürgern lassen konnte», weiss van Orsouw.
Luises Ehebruch
Die Zugerinnen und Zuger waren offenbar mächtig stolz auf den königlichen Mitbürger. Dazu van Orsouw: «Sie waren stolz, dass dieser ehemalige Erzherzog Zuger werden wollte. Solche Blaublüter kannte man sonst nur aus den Zeitungen und plötzlich hatte man einen vor sich.» Ausserdem beteiligte sich Leopold am gesellschaftlichen Leben, war etwa Mitglied in einem Kegelklub und verkehrte in verschiedenen Beizen.
Auch Leopolds Schwester Luise floh wegen der Liebe in die Schweiz. Sie liess ihren Ehemann und ihre fünf Kinder zurück, um mit dem Sprachlehrer ebendieser Kinder zusammen zu sein. Ihr Mann, der künftige König von Sachsen, leitete die sofortige Scheidung ein. Pikant: Bei der Flucht war sie mit ihrem sechsten Kind schwanger. Unklar war, ob es vom Ehemann oder vom Sprachlehrer war.
Die Flucht der königlichen Sprosse machte Schlagzeilen in ganz Europa. Kritik gab es auch an der Schweiz, weil sie über die Skandale der beiden hinwegsah. Doch: Die Geschichte kratzte vor allem am Lack der Habsburger. «Es war der Anfang der Zerfallserscheinungen», ist Michael van Orsouw überzeugt. «Das ehrwürdige alte Kaiserhaus war völlig morsch im Gebälk. 1918 war es dann definitiv fertig mit dem Hause Habsburg.» Die Flucht der beiden habe einen kleinen Teil zum Einsturz beigetragen.
Auch die Schweizerinnen und Schweizer verloren später übrigens ihre Begeisterung für Leopold. Seinen «sittenlosen» Lebensstil führt er auch in der Schweiz weiter. Bereits im Jahr 1907 lässt er sich von seiner neuen Ehefrau scheiden und heiratet Marie Ritter – auch sie eine Ex-Prostituierte.