Im Labor des emeritierten Kardiologieprofessors Urs Scherrer am Inselspital in Bern werden die Risiken der künstlichen Befruchtung untersucht. Der bekannte Kritiker der In-vitro-Befruchtung und seine Forschungsgruppe testen erstmals die Herzen junger Erwachsener.
Im Zentrum des Interesses: Künstlich gezeugte, junge Menschen, die Scherrer in den letzten 10 Jahren immer wieder untersucht hat. Die neue Vermutung: Bei in vitro gezeugten Personen zeigen sich im Vergleich zu einer Kontrollgruppe bereits erste Anzeichen einer Herzschwäche, wie Scherrer gegenüber der Rundschau erklärt.
Motiviert hätten ihn eindeutige Daten bei Tests an Mäusen. «Die In-vitro-Mäuse haben praktisch alle eine Herzschwäche gezeigt.» Scherrer ergänzt für die derzeit laufenden Test an Menschen: «Wir erwarten, dass das Herz unter Anstrengung – also die erhöhte Pumpfunktion – nicht optimal funktioniert, wie dies bei einer normal konzipierten Person in diesem Alter der Fall ist.»
Zeichen eines Herzversagens
In-vitro-Mäuse zeigten im Labor bereits in jungem Alter eine veränderte Herzform und entwickelten mit der Zeit Zeichen eines Herzversagens. Der Kardiologe möchte nun herausfinden, ob sich dieser schwerwiegende Befund auch bei in vitro gezeugten Personen bereits im jungen Erwachsenenalter feststellen lässt. Nicht zum ersten Mal mischt der emeritierte Professor damit hierzulande die Reproduktionsmedizin auf.
So konnte Scherrer etwa in der Vergangenheit zeigen, dass seine In-vitro-Testpersonen bereits als Jugendliche ein erhöhtes Risiko aufwiesen, an einem behandlungsbedürftigen Bluthochdruck zu erkranken.
Scherrer sagt dazu heute: «Wir haben es mit einer Risikopopulation zu tun, die bis jetzt nicht bekannt war. Und wir haben viele In-vitro-Kinder, gerade, wenn man die Entwicklung global betrachtet.» Es betreffe einen grossen Anteil der heutigen, jugendlichen Bevölkerung. Scherrer weiter: «Wir vermuten zudem, dass die gesundheitlichen Veränderungen das Potenzial haben, an die nächste Generation weitergegeben zu werden.»
«Wir nehmen das ernst»
Herzkreislauf-Erkrankungen seien allgemein bereits heute die häufigste Todesursache, so Scherrer. Um die Risiken künftiger In-vitro-Kinder möglichst klein zu halten, wünscht sich Scherrer eine bessere Zusammenarbeit mit den Reproduktionsmedizinern. Diese müssten eigentlich Schlange stehen, um ihre Kinder bei uns testen zu dürfen, so Scherrer. Doch: «Mein Eindruck ist, dass der Wille zur Zusammenarbeit und gemeinsamen Forschung auf dem Gebiet relativ gering ist.»
Christian De Geyter vom Universitätsspital Basel, einer der bekanntesten Reproduktionsmediziner der Schweiz, sagt zu den Vorwürfen und der Vermutung, dass junge, erwachsene in vitro gezeugte Personen ein höheres Risiko einer Herzschwäche aufweisen könnten: «Es gibt grosse andere Studien, die das Problem nicht gezeigt haben. Aber klar, es ist wichtig, dies weiter zu verfolgen. Wir nehmen das sehr ernst.»
Ein grosses Forschungsprojekt zum Thema sei gemeinsam mit allen fünf Universitätsspitälern der Schweiz geplant gewesen, leider sei dies jedoch an der Finanzierung gescheitert, so De Geyter gegenüber der Rundschau.