«Ich habe die Nase voll, es ist mir zu blöd geworden», sagt Nicole van Rooijen-Rollier aus dem Thurgau. Die 48-jährige Welschbielerin ist im Vorstand der CVP Weinfelden TG. Aber jetzt will sie nicht mehr mitmachen. Sie ist enttäuscht, dass sie nicht mehr Frauen dazu bringen konnte, politisch aktiv zu sein. Immer wieder habe sie versucht, Frauen für die Politik zu gewinnen. Mit magerem Erfolg.
Die Frauen hätten immer einen Grund, warum sie gerade jetzt nicht in die Politik einsteigen wollten, erzählt Nicole van Rooijen. Zum Beispiel trauten sie es sich nicht zu oder sie wollten lieber im Hintergrund bleiben oder sie interessierten sich nicht dafür. Ihr Fazit: «Frauen sind ein Stück weit auch selber schuld, dass sie in der Politik in der Minderheit sind.» Frauenförderung fange in den Köpfen der Frauen an, ist sie überzeugt. Schweizerinnen müssten endlich selber aktiv werden und sich einbringen.
Ich habe die Nase voll, es ist mir zu blöd geworden.
Bei eidgenössischen Wahlen drohen Sitzverluste
In der Schweiz gibt es etwas mehr Frauen als Männer. Aber in der Politik sind die Frauen seit Jahrzehnten untervertreten. Im Nationalrat geht es zwar seit 1971 stetig aufwärts mit der Frauenquote, aber sie liegt dennoch erst bei 33 Prozent. Rückläufig ist sie hingegen im Ständerat. Seit 2003 sinkt die Frauenvertretung stetig, heute zählt die kleine Kammer noch sieben Frauen von 46 Sitzen. In den Kantonsparlamenten sieht es noch schlechter aus. Gut 27 Prozent Frauen hat es dort, in den Regierungen sogar nur 24 Prozent.
Und Kathrin Bertschy, die Co-Präsidentin des Frauen-Dachverbands Alliance F und Nationalrätin der Grünliberalen, warnt: Bei den nächsten eidgenössischen Wahlen im Herbst 2019 könnte es weitere Verluste geben. Mehrere Politikerinnen wie etwa die SP-Frauen Pascale Bruderer und Anita Fetz treten nicht mehr an. Es dürfte schwierig werden, all diese Sitze erneut mit Frauen zu besetzen.
Bürgerliche haben Frauenproblem
Besonders auffällig ist das Frauenproblem bei den beiden grossen bürgerlichen Parteien. Die SVP hat gerade mal 14 Frauen auf ihren 68 Sitzen im Nationalrat. Im Ständerat sind die SVP-Männer gar unter sich. In den Kantonsregierungen findet man nur fünf Frauen, die der SVP angehören.
Der Frauennachwuchs lässt sich aber nur schlecht mobilisieren, klagt Petra Wyss. Sie ist Präsidentin der SVP Frauen des Kantons Bern und versucht immer wieder, Frauen auf die SVP-Wahllisten zu bringen. Es brauche Mut, als Frau in der SVP zu sein, man werde oft schräg angeschaut, auch sie selber habe schon Sprüche gehört wie: «Was, eine Frau wie du ist in der SVP?» Das Denken in der Partei sei noch sehr traditionell. Manche Parteimitglieder seien in den 1950er-Jahren stehen geblieben. Diese Haltung will die SVP aber aufweichen. Petra Wyss gibt sich zuversichtlich: «Unsere Dinosaurier sterben auch mal aus.»
Nicht nur Petra Wyss, auch CVP-Frau Nicole van Rooijen musste sich schräge Kommentare anhören. Sie sei belächelt worden, sagt van Rooijen, man habe sie auch gefragt, ob sie denn nichts anderes zu tun habe als alleinerziehende Mutter von drei Kindern.
Frauenmangel in politischen Gremien betrifft vor allem die Bürgerlichen. Weniger die CVP. Die habe eine relativ starke Frauensektion, sagt Kathrin Bertschy von der Alliance F. Die Frauen seien in der CVP sichtbarer, die Partei habe bereits zwei Bundesrätinnen gestellt. Anders bei der FDP. Aus ihren Reihen ist erst eine Bundesrätin gekommen – und das ist 30 Jahre her. Sieben der 33 FDP-Nationalräte sind weiblich, im Ständerat gibt es nur eine Frau, Karin Keller-Sutter. Die Freisinnigen hätten viel aufzuholen, findet Bertschy. Die FDP habe es vernachlässigt, die Frauen aktiv zu fördern.
Es würde mich freuen, wenn die Frauen mutiger wären und sich sagen würden: Doch, wir können das!
Erfolgsmodell SP
Bei den linken Parteien ist die Geschlechtervertretung etwa ausgeglichen. Die Linke hat laut Bertschy sehr früh angefangen, Frauen gezielt nachzuziehen. In der SP etwa sei die Gleichstellung heute absolut normal, sie werde auch konsequent durchgesetzt. Zum Beispiel schaut die SP darauf, das Parteipräsidium und den Fraktionsvorsitz an eine Frau und einen Mann zu vergeben.
Die jahrelange Frauenförderung in der Schweiz hat noch keine ausgeglichene Geschlechtervertretung gebracht. Und dies obwohl seit 1985 zahlreiche kantonale und regionale Gleichstellungs- und Frauenbüros eingerichtet wurden. Auch beim Bund kümmern sich immer noch drei Fachstellen um Frauenanliegen. Es fehle allerdings immer noch am politischen Willen, findet Kathrin Bertschy. Die Gleichstellungsbüros seien unterfinanziert.
Über einen Mangel an Förderung kann sich die CVP-Lokalpolitikerin Nicole van Rooijen-Rollier nicht beklagen. Man bot ihr sogar einen Platz auf der Nationalratsliste an. Doch das sei ihr eine Nummer zu gross, sagt sie. Ihrer Ansicht nach braucht es vor allem ein Umdenken bei den Frauen: «Es würde mich freuen, wenn die Frauen mutiger wären und sich sagen würden: Doch, wir können das!»