Der 14. Juni ist der Tag des Frauenstreiks. Schweizweit haben Gewerkschaften und Kollektive in verschiedenen Städten zu Demonstrationen aufgerufen. Im Zentrum der Forderungen stehen Lohngleichheit, Mindestlohn und existenzsichernde Renten.
Im Rahmen des Frauenstreiks hat alt Bundesrätin Simonetta Sommaruga SRF ein Interview gegeben. Für Sommaruga ist hinsichtlich der Gleichberechtigung noch einiges zu tun.
SRF: Die Schweiz hat sich in Sachen Gleichstellung verbessert. Das zeigt der neuste Gender-Gap-Report des Weltwirtschaftsforums. Wir sind also auf dem richtigen Weg. Braucht es da den lauten Kampf auf der Strasse noch?
Simonetta Sommaruga: Gemäss diesem Report sind wir von Platz 21 auf Platz 20 gerückt. Darauf können wir nicht stolz sein. Dieser Report zeigt, dass wir zwar zum Beispiel in der Bildung bei der Gleichstellung gut unterwegs sind, aber sobald dann diese gut ausgebildeten Frauen auf den Arbeitsmarkt kommen, haben sie bis heute häufig nicht die gleichen Löhne für gleichwertige Arbeit und auch nicht gleiche Chancen. Ich denke, da gibt es noch einiges zu tun.
Extreme Forderungen bei der Gleichstellung können aber auch kontraproduktiv sein. Sie können eine Gesellschaft spalten. Wäre mehr Geduld nicht zielführender?
Ich spreche ja nicht von extremen Forderungen, sondern nur davon, dass die Bundesverfassung eingehalten wird, die seit 40 Jahren sagt, dass Frauen und Männer für gleichwertige Arbeit den gleichen Lohn bekommen müssen. Und das ist bis heute so nicht eingehalten.
Zwischen Behauptung und Realität liegen zum Teil Welten.
Sie sind Präsidentin von Equal Salary, einer Stiftung, die Unternehmen sogenannte Gender-Zertifizierungen anbietet. Was für Situationen finden Sie da vor?
Ich habe viele Gespräche geführt mit Unternehmungen, mit Firmenchefs und -chefinnen. Sie alle sagen, sie wollten Frauen und Männern die gleichen Chancen geben. Aber zwischen der Behauptung, dass man das will, und der Realität, wenn man das beweisen muss, liegen zum Teil Welten. In einer Firma zum Beispiel konnten wir feststellen, dass beim obersten Kader massive Unterschiede bestehen. Der Firmenchef war überrascht und musste zugestehen, dass da wohl unbewusste Vorurteile hineinspielten, wie zum Beispiel, dass sich Frauen, die Kinder haben, nicht gleich engagieren könnten. Solche Vorurteile führen dazu, dass ungleiche Chancen oder ungleiche Löhne in den bestgeführten Firmen vorkommen.
Männer müssen bereit sein, sich mehr an der Kindererziehung und am Haushalt zu beteiligen.
Ein anderes Vorurteil ist, dass Frauen weniger verdienen, weil sie weniger um ihre Löhne feilschen, weniger verhandeln. Müssen wir Frauen selbstbewusster auftreten?
Ja, das ist sicher wichtig und das machen jüngere Frauen heute besser, als wir das in meiner Generation noch gemacht haben. Ich weiss aber selbst aus den Erfahrungen als Arbeitgeberin, wenn ein Mann kommt und sagt, er brauche mehr Lohn, weil er seine Familie ernähren müsse, dann tönt das plausibel. Wenn eine Frau kommt und sagt, sie müsse mit ihrem Lohn ihren Mann und ihre Kinder ernähren, dann stellt sich plötzlich ein Fragezeichen. Da sind in unseren Köpfen diese merkwürdigen, aber immer noch festsetzenden Vorurteile. Die müssen wir angehen.
Sie sprechen die Tatsache an, dass Gleichstellung keine Frauensache, sondern eben eine Gesellschaftssache ist. Was ist denn Ihre Forderung an die Männer?
Die Männer müssen bereit sein, sich mehr an der Kindererziehung und am Haushalt zu beteiligen. Nur so können Frauen, die das wollen, ihre Möglichkeiten im Arbeitsmarkt ausleben. Ein «Papitag» reicht da nicht.
Das Gespräch führte Eliane Leiser.