Auf die Schweiz und ihre Guten Dienste wartet niemand – im Gegenteil: Um Konferenzen wie heute in Davos streiten sich die Staaten. «Es gibt international einen Wettbewerb um die Guten Dienste», sagt Laurent Goetschel, Professor für Politikwissenschaft und Direktor der Schweizerischen Friedensstiftung Swisspeace. «Staaten werben mit Standortvorteilen und Annehmlichkeiten für sich. Denn solche Konferenzen zum Beispiel bringen Prestige für einen Staat.»
Grossmächte vermitteln
Norwegen, Schweden oder Österreich sind klassische Konkurrenten der Schweiz im Wettbewerb um Konferenzen und Konfliktvermittlung. Doch aktuell prägen Gross- und Regionalmächte die Schlagzeilen: Die Türkei hat zwischen der Ukraine und Russland vermittelt, Katar zwischen Israel und der Terrororganisation Hamas – oder China zwischen dem Iran und Saudi-Arabien.
Solche Vermittlungen basierten auf der Macht der Vermittler, sagt Aussenminister Ignazio Cassis: «Diese Macht haben wir nicht. Wir machen etwas anderes.» Die Schweiz vermittle im Stillen. Sie ist weltweit in rund 20 Friedensprozessen aktiv – häufig in international wenig beachteten Konflikten.
Gute Dienste überschätzt?
Sacha Zala schaut mit nüchternem Blick auf die Guten Dienste der Schweiz. Sie würden eher über- als unterschätzt, sagt der Historiker und Leiter der Forschungsstelle «Diplomatische Dokumente der Schweiz»: «Die Schweizer Perzeption, wonach nur der mustergültige Neutrale in fast göttlicher Mission berufen ist zu vermitteln, stimmt nicht.» Die Geschichte der Guten Dienste sei eine Geschichte von Erfolgen und Misserfolgen. Und sie hätten regelmässig dazu gedient, im In- und Ausland die Neutralität zu rechtfertigen.
Um die Neutralität ist eine heftige Debatte entflammt seit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine und dem Schweizer Entscheid, die Russland-Sanktionen der EU mitzutragen. In Russland ist die Schweiz deswegen in Ungnade gefallen als Anbieterin von Guten Diensten. Die SVP kritisiert deswegen: Die Schweiz habe innert kurzer Zeit ihr Kapital als Vermittlerin verspielt.
Historiker Sacha Zala teilt diese Sicht nicht. Die nationalen Interessen der Schweiz hätten immer Vorrang. «Die Schweiz darf und muss ihre Interessen verfolgen», sagt Zala. Aus diesen Überlegungen habe die Schweiz auch im Kalten Krieg faktisch Wirtschaftssanktionen gegen die Sowjetunion und ihre Verbündeten mitgetragen.
Klare Kante statt Gute Dienste?
Rechts also gibt es ein Unbehagen, weil sich die Schweiz positioniert. Noch breiter abgestützt – von links bis in die Mitte – ist eine genau gegenteilige Kritik: Gerhard Pfister vertritt sie, der Präsident der Mitte-Partei. Die Schweiz müsse sich stärker abgrenzen gegenüber autoritären Staaten wie dem Iran etwa, sagt er: Wenn nötig auf Kosten von Guten Diensten. «Die Zeitenwende bringt die Schweiz in eine Situation, in der sie sich entscheiden muss.»
Also lieber klare Kante als gute Dienste? Laurent Goetschel, Direktor der Friedensstiftung Swisspeace, hält davon wenig. Mit seinen Mitarbeitenden berät und unterstützt er das EDA in der Friedensförderung. Die Schweiz solle auch künftig mit möglichst allen reden: «Das ist umso wichtiger, je konfliktiver die Welt wird und je mehr unterschiedliche Pole entstehen.»