Zum Inhalt springen

Frühfranzösisch unter Druck Parlez-vous français? Eine umstrittene Frage in der Ostschweiz

Vorstösse in einigen Kantonsparlamenten wollen – einmal mehr – das Frühfranzösisch streichen. An der Pädagogischen Hochschule St. Gallen sind die Meinungen dazu geteilt.

Französisch oder Englisch – oder beides? Die St. Galler Regierung bezieht in ihrer Antwort auf einen politischen Vorstoss aus FDP-Kreisen klar Stellung: «Die Frage des Frühfranzösischs ist nicht auf kantonaler Ebene zu diskutieren, sondern in der Erziehung­sdirektoren­konferenz (EDK).»

Thurgau, St. Gallen, Luzern …

Doch der Widerstand gegen das Frühfranzösisch wächst in mehreren Kantonen. In der Ostschweiz sind auch im Thurgau und in Appenzell Ausserrhoden Vorstösse eingegangen. So sollen «Fehlentwicklungen» korrigiert und «heisse Eisen» angefasst werden. Damit ist der Französischunterricht ab der fünften Primarschulklasse gemeint.

Schweizer Sprachenstrategie EDK

Box aufklappen Box zuklappen

In den 1970er-Jahren führten die ersten Kantone das Frühfranzösisch ein. Bis in die 1990er-Jahre hatten die meisten Kantone eine zweite Landessprache im Primarschulunterricht.

Deshalb erarbeitete die EDK für die Schweiz eine Sprachenstrategie. Diese wurde nach intensiven Diskussionen im März 2004 beschlossen.

Die Schweizer Schüler und Schülerinnen sollen bis Ende der obligatorischen Schulzeit in Englisch und Französisch Mindestziele erreichen. Auch den Beginn der Fremdsprachen hat die EDK geregelt.

Auch in anderen Regionen der Schweiz, etwa in Luzern oder Bern, wachsen die Bedenken betreffend Frühfranzösisch. Schweizer Sprachenpolitik hin oder her, in der mit dem Zusammenhalt in der viersprachigen Schweiz argumentiert wird.

In der Ostschweiz, der Zentralschweiz und im Kanton Zürich wird ab der dritten Klasse Englisch unterrichtet. Französisch ab der Fünften. Ziel der EDK ist es, dass die Kinder bis Ende der obligatorischen Schule beide Sprachen vergleichbar gut beherrschen.

Innerrhoden und Uri ohne Frühfranzösisch

Box aufklappen Box zuklappen

Appenzell Innerrhoden hat schon 2001 Englisch ab der dritten Klasse eingeführt. Frühfranzösisch hat Innerrhoden nie eingeführt und hat sich damit gegen die Sprachenstrategie der EDK gestellt.

An den Urner Primarschulen wird seit 1994 Italienischunterricht angeboten. Es ist aktuell ein Wahlpflichtfach in der fünften und sechsten Klasse. Französisch kommt in der Oberstufe dazu.

Der Kanton Aargau führte erst mit dem Lehrplan 21 im Jahr 2020 Frühfranzösisch ein.

Ob die Schülerschaft die Ziele der EDK erreicht, ist umstritten. Eine systematische Auswertung der Uni Freiburg von Studien zu Französischlehrmitteln in den zweisprachigen Kantonen zeigt, dass Grundkompetenzen mehrheitlich erreicht werden. Mehr aber nicht.

Studierende sehen Vor- und Nachteile

Im Alltag sind die Meinungen geteilt. «Französisch erst ab der Oberstufe käme dann zum gleichen Zeitpunkt wie der Berufswahlprozess», sagt eine Studentin in einer kleinen Umfrage von SRF an der PH St. Gallen. Das würde fürs Frühfranzösisch sprechen. Dagegen spreche – da sind sich die meisten angesprochenen künftigen Lehrpersonen einig – dass zwei Fremdsprachen in der Primarschule eine Belastung für leistungsschwächere Kinder sein kann.

Je früher ein Kind eine Fremdsprache lernt, desto einfacher lernt es die Sprache.
Autor: Rità Krainer Französischdozentin PH Rorschach

Entwicklungspsychologisch sei das Frühfranzösisch sinnvoll, sagt Rita Krainer. Sie ist an der PH St. Gallen Französischdozentin und Mitglied des Instituts für sprachliche und literarische Bildung. Für sie ist klar: «Je früher ein Kind eine Fremdsprache lernt, desto einfacher lernt es sie.»

Bis zum zwölften Lebensjahr würden die Kinder Sprachen viel intuitiver lernen und hätten auch ein natürliches Sprachgefühl. «Kinder sind sprachlich flexibel», so Krainer. Ihr Gehirn sei in frühen Jahren zudem besonders anpassungsfähig.

Vorteil für die Mathematik

Rita Krainer ist überzeugt, dass Kinder, die früh mehrere Sprachen lernen, damit auch das logische Denken schulen. Das sei wiederum ein grosser Vorteil für Fächer wie Mathematik. Differenzierung im Unterricht sei allerdings das A und O. Die Voraussetzungen der Kinder seien unterschiedlich. Das Bildungsniveau der Eltern spielt dabei ebenso eine Rolle, wie das Umfeld, in dem sie aufwachsen.

Schon vor zehn und zwanzig Jahren wuchs in mehreren Kantonen der Widerstand gegen das Frühfranzösisch oder zumindest gegen zwei Fremdsprachen auf der Primarstufe.

Immer wieder Initiativen

Box aufklappen Box zuklappen

Die Harmonisierung bei den Fremdsprachen ist seit Beginn umstritten.

2006 wurden in den Kantonen Schaffhausen, Thurgau, Zug und Zürich Initiativen zu den Fremdsprachen abgelehnt.

2015 bis 2018 wurden beispielsweise in den Kantonen Graubünden, Luzern, Nidwalden oder Zürich Initiativen für nur eine Fremdsprache auf der Primarstufe abgelehnt.

Im Zusammenhang mit der Einführung des Lehrplans 21 wurde das Fremdsprachenmodell mit zwei Fremdsprachen ebenfalls bekämpft.

Der Thurgauer Grosse Rat wollte zum Beispiel 2016 das Frühfranzösisch abschaffen und löste damit eine schweizweite Diskussion aus. Er schwenkte im letzten Moment um, weil die Regierung Verbesserungen im Unterricht versprach, wie Halbklassenunterricht, ein neues Lehrmittel oder einfachere Dispensierungen.

Regionaljournal Ostschweiz, 24.2.2025, 17:30 Uhr ; 

Meistgelesene Artikel