Carmen (5) hat das Down-Syndrom. Sie besucht den Regelkindergarten in Lenzburg (AG). Das war nicht immer so. Ihre Eltern haben sich mit rechtlichen Schritten dafür eingesetzt, denn die Aargauer Behörden wollten das Mädchen in einer Sonderschule platzieren. «Es hat viel Energie gebraucht, Kampfeswillen und viel Schriftverkehr. Dies ist ein Teil davon», erklärt der Vater von Carmen, Eric Casanova. Er fände es eigentlich schlimm, wenn man in der Schweiz, um ein Kind in den Regelkindergarten zu kriegen, mit dem Rechtsanwalt vorfahren müsse.
Ich finde es eigentlich schlimm, wenn man in der Schweiz, um ein Kind in den Regelkindergarten zu kriegen, mit dem Rechtsanwalt vorfahren muss.
Nachdem die Eltern den Rechtsanwalt eingeschaltet hatten, fand sich eine Lösung mit der Schulbehörde. Im Kanton Aargau gehen 4,6 Prozent aller Schülerinnen und Schüler an eine Sonderschule oder in einer Sonderklasse. Mehr als in anderen Kantonen.
Der schweizerische Durchschnitt liegt bei 3,4 Prozent – weit unter dem Schnitt liegt der Kanton Luzern. Dort gehen nur 1,8 Prozent aller Schüler an eine Sonderschule. Gesamtschweizerisch liegen die Zahlen zwischen 1,2 und 5,7 Prozent.
Die Rahmenbedingungen geben jeweils die Kantone vor. Die Chancen beeinträchtigter Kinder, die Regelklasse zu besuchen, hängen vom Wohnort ab. Die kantonalen Gesetze gehen weit auseinander. Das dürfe nicht sein, sagt Ständerätin und Präsidentin von Inclusion Handicap, Pascale Bruderer (SP): «Die Bundesverfassung, das Behindertengleichstellungsgesetz und insbesondere die UNO-Behindertenrechtskonvention, die auch in der Schweiz gilt, geben klar den Weg vor. Es muss eine Wahlfreiheit bestehen.» Kinder mit einer Beeinträchtigung sollten die Chance und die Wahl haben, auch in einer Regelschule geschult zu werden.
Der integrative Unterricht ist eine Erfolgsgeschichte, stellt jedoch für alle Beteiligten eine grosse Herausforderung dar.
Geht es nach Bruderer, müssten die Kantone jetzt handeln. Insbesondere die Schweizerische Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren EDK. «Die Zahlen, die uns heute zur Verfügung stehen, lassen aus verschiedenen Gründen keinen Vergleich zwischen den Kantonen zu», kontert Silvia Steiner, Präsidentin der EDK. Deshalb sei man zurzeit beim Bundesamt für Statistik daran, neue Daten zu generieren.
Unterstützung erhält Steiner von Barbara Fäh, Rektorin der interkantonalen Hochschule für Heilpädagogik. Sie sagt, man sei insgesamt auf einem guten Weg, sogar auf einem sehr guten. Der integrative Unterricht sei eine Erfolgsgeschichte, stelle jedoch für alle Beteiligten eine grosse Herausforderung dar.
Und, der Weg sei noch nicht zu Ende. Immer wieder müssten sich die Akteure an neue Gegebenheiten anpassen, betont Fäh weiter. So wie die Gesellschaft sich in einem permanenten Wandel befinde, müsse sich auch die Schule dauernd anpassen.
So viel Integration wie möglich
Alex Hürzeler, Bildungsdirektor des Kanton Aargau verteidigt das aargauische System: «Solange wir über 95 Prozent standardmässig in einer Regelklasse unterrichten können, ist das eine sehr gute Zahl.» Es gehe nicht um Quote, sondern darum, den Weg zwischen der Sonderschule und der Regelschule zu vereinfachen, indem die Möglichkeiten der Regelschule zu verstärken. In diesem Sinne fordert auch Barbara Fäh so viel Integration wie möglich und gleichzeitig soviel Separation wie es sinnvoll ist.
Wie der schulische Weg von Carmen nach dem Kindergarten weitergeht, ist noch nicht klar. Integration ist jedoch so oder so ein lebenslanges Projekt.