Die schwangeren Frauen, die sich für eine vertrauliche Geburt entscheiden, sind meistens in einer grossen Notsituation. Sie sind ungewollt schwanger oder erleben Gewalt oder Drohung von zu Hause und sind teils noch minderjährig. Eine Abtreibung sei oft nicht (mehr) möglich und sie müssten die Schwangerschaft und Geburt verheimlichen, erklärt Barbara Gutzwiller. Die Sozialarbeiterin begleitet Schwangere in Not am Inselspital Bern, wo vertrauliche Geburten schon seit mehreren Jahren möglich sind. Sie betont: «Häufig sind die Frauen unter Druck vom Partner oder von der Familie, sei es durch die Familie des Partners oder der Herkunftsfamilie.»
Frau erhält Decknamen
Bei der «vertraulichen Geburt» kann eine Frau geheim im Spital gebären, ohne dass das soziale Umfeld etwas davon erfährt. Sie erhält im Spital ein Pseudonym. Unter diesem Decknamen wird sie während der Schwangerschaft und der Geburt medizinisch betreut. In den meisten Fällen gibt die Frau das Kind dann zur Adoption frei. Ihr richtiger Name wird dabei ausschliesslich dem Zivilstandsamt und der KESB mitgeteilt, damit das Kind mit 18 die Möglichkeit hat, den Namen der leiblichen Mutter zu erfahren. So wird das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung eingehalten.
Häufig sind die Frauen unter Druck vom Partner oder von der Familie, sei es durch die Familie des Partners oder der Herkunftsfamilie.
Die vertrauliche Geburt sei eine wichtige Alternative zum Babyfenster, betont der Chefarzt der Frauenklinik am Inselspital Bern, Daniel Surbek. Bevor eine Frau ihr Kind im Babyfenster abgibt, gebäre sie meistens alleine irgendwo im Geheimen ohne medizinische Betreuung. Bei der vertraulichen Geburt hingegen werden sowohl Kind als auch Frau vor, während und nach der Geburt medizinisch und psychologisch im Spital betreut, so Surbek: «Ich denke, es ist wichtig, dass das Angebot der vertraulichen Geburt auch bekannt ist, dass eventuell betroffene Frauen, gerade auch Frauen in Randgruppen oder Migrantinnen, darüber Bescheid wissen und diese Möglichkeit nutzen können.»
Praktisch in allen Kantonen werden in verschiedenen Spitälern vertrauliche Geburten angeboten werden. Doch nur wenige Spitäler informieren aktiv, zum Beispiel auf ihrer Website, über das Angebot.
Pro Jahr 20 vertrauliche Geburten
Gemäss einer Schätzung der Sexuellen Gesundheit Schweiz kommen hierzulande pro Jahr mindestens 20 Kinder im Rahmen einer vertraulichen Geburt zur Welt. Offizielle Statistiken zu vertraulichen Geburten fehlen zurzeit noch. Die meisten Kantone bieten das Angebot in verschiedenen Spitälern zwar bereits an. Doch vielerorts fehle es noch an breiter, niederschwelliger Information, erklärt Christine Sieber, Projektleiterin bei der Stiftung Sexuelle Gesundheit Schweiz. Nach einer umfassenden Analyse zu vertraulichen Geburten in der Schweiz kommt sie zum Schluss: «Praktisch in allen Kantonen werden in verschiedenen Spitälern vertrauliche Geburten angeboten. Doch nur wenige Spitäler informieren aktiv, zum Beispiel auf ihrer Website, über das Angebot.»
Vertrauliche Geburten in vielen Kantonen möglich
In der Schweiz gibt es praktisch in allen Kantonen Spitäler, wo Frauen vertraulich gebären können. Eine gesamtschweizerische Rechtsgrundlage gibt es aber nicht. Gesetzlich ist das nur im Kanton Thurgau und seit Anfang Jahr auch im Kanton Bern geregelt. So müssen im Kanton Bern neu alle Listenspitäler mit Geburtshilfe auch «vertrauliche Geburten» anbieten.
Pro durchgeführte vertrauliche Geburt erhält im Kanton Bern nun jedes Spital eine Pauschale von 1500 Franken vom Kanton zur Kostendeckung. Durch eine gesetzliche Verankerung werden vertrauliche Geburten in mehr Spitälern angeboten und einheitlicher umgesetzt. So soll das Angebot auch in der Öffentlichkeit bekannter werden.