Die Diskussion um neue Gaskraftwerke in der Schweiz hat jüngst wieder Fahrt aufgenommen. Nach dem Scheitern des Rahmenabkommens mit der EU warnten vergangenen Herbst verschiedene Kreise vor einer drohenden Winter-Stromlücke in der Schweiz, welche nur mit dem Bau neuer Gaskraftwerke geschlossen werden könne. Allerdings sind Gaskraftwerke klimapolitisch umstritten, der Bau neuer Kraftwerke entsprechend schwierig und aktuell kaum mehrheitsfähig.
Nun zeigen Recherchen von SRF im Zusammenhang mit einem Vorstoss im Aargauer Kantonsparlament, dass ein solches Gaskraftwerk gar nicht neu gebaut werden muss, da es bereits existiert. Es ist zwar kaum bekannt, hätte aber grosses Potenzial für die Schweizer Energieversorgung, wie verschiedene Nachfragen zeigen.
Bestehendes Grosskraftwerk ist heute nur Testanlage
Im aargauischen Birr betreibt die Firma Ansaldo Energia seit einigen Jahren eine Testanlage für neue Gasturbinen. Hier werden neu entwickelte Turbinenmodelle und -komponenten auf Herz und Nieren geprüft sowie im Betrieb optimiert. Damit das möglich ist, müssen die Turbinen unter voller Last und realen Bedingungen laufen. Das wiederum bedeutet: Die Testanlage produziert im Betrieb Strom, wie ein richtiges Gaskraftwerk – und zwar in grosser Menge.
Richtig spannend und versorgungstechnisch relevant wird die Testanlage in Birr dadurch, dass sie bereits ans normale Gasnetz und auch ans Schweizer Stromnetz angeschlossen ist. Ist die Anlage in Betrieb, speist sie den «Teststrom» ins Stromnetz ein, wie ein normales Kraftwerk.
Die beiden aktuell installierten Turbinen haben zusammen eine Leistung von rund 740 Megawatt. Damit könnten sie – zumindest in der Theorie – mehr Energie liefern als die beiden Atomreaktoren im KKW Beznau. Das Testkraftwerk könnte also schon heute durchaus eine winterliche Stromlücke stopfen, würde das AKW Beznau ausfallen oder abgestellt.
Kraftwerk wird stiefmütterlich behandelt
Obwohl es sofort verfügbar wäre und grosse Mengen Strom liefern könnte, wird das eigentlich einsatzbereite Gaskraftwerk von Birr bisher in der Schweizer Versorgungsplanung kaum berücksichtigt, weder auf kantonaler noch auf nationaler Ebene. Der Aargauer Energiedirektor Stephan Attiger sagte zwar erst kürzlich, dass der Aargau für ein solches Gaskraftwerk prädestiniert wäre. Kontakt mit Ansaldo, der Betreiberin der Turbinentestanlage, hatte der Regierungsrat indes noch nicht.
Im Rahmen der normalen Beantwortung des Vorstosses im Kantonsparlamentes wird die Regierung in den nächsten Wochen die Möglichkeiten abklären. Bevor das abgeschlossen ist, kann sie sich zum Thema nicht konkret äussern.
Immerhin heisst es bei Ansaldo auf Nachfrage von SRF bereits: Ja, grundsätzlich sei es durchaus möglich, die Testanlage als offizielles Reservekraftwerk für das Schweizer Stromnetz zu etablieren. Gerd Albiez, Chef von Ansaldo Schweiz, sagt: «Wenn die entsprechende Stelle sich bei uns meldet, dann sind wir sicher bereit, Gespräche zu führen.» Es bräuchte allerdings einige Abklärungen zu Machbarkeit und Betrieb, denn dazu gäbe es diverse offene Fragen.
Warum ein neues Gaskraftwerk planen, wenn doch in Birr schon eines steht? Diese rhetorische Frage stellen sechs Aargauer Kantonsparlamentarier. Sie könnten die Diskussion um die Schweizer Energieversorgungssicherheit damit an einen ganz neuen Punkt bringen. Nun muss die Aargauer Regierung antworten und damit entscheiden, ob die Turbinentestanlage besser in die künftige Energieplanung einbezogen wird.