Die Gefängnisse in der Westschweiz sind vielfach restlos überfüllt. Die Folge sind verheerende Zustände und Sicherheitslücken auf der einen und Überforderungen des Personals auf der anderen Seite. In der Deutschschweiz stellt sich die Situation zwar weit weniger dramatisch dar, aber auch hier droht vielerorts der Kollaps.
Besonders drastisch stellt sich die Situation in den Kantonen Basel-Stadt, Basel-Landschaft und Luzern dar. Hier schwankt die Auslastung der Gefängnisse zwischen 120 und 127 Prozent.
Das klingt auf den ersten Blick wenig dramatisch. Doch in der Realität gilt ein Gefängnis schon ab einer Auslastung von 85 Prozent als vollbelegt, da eigentlich immer ein Puffer für aussergewöhnliche Situationen freigehalten werden sollte.
Letzte Möglichkeit: Einzelzellen zu Doppelzellen und Haftaufschub
Mit Notbetten versucht man zum Beispiel in Basel-Stadt die Lage zu entspannen. «Im Untersuchungsgefängnis verfügen wir zudem über Gruppenhaftstationen», so Andreas Knuchel, Mediensprecher des Justizdepartements Basel-Stadt.
Laut Knuchel hätten die Gefangenen tagsüber Freigang – könnten sich also frei auf der Station bewegen. «Dadurch entsteht auch mit einer starken Belegung nicht zu wenig Bewegungsfreiheit für die Untersuchungshäftlinge.»
In Solothurn und Olten behilft man sich mit der Mehrfachbelegung von Zellen. Einzelzellen werden zu Doppelzellen, Doppelzellen zu Viererzellen. Gleiches gilt für St. Gallen, wo man in Notfällen auch noch gewöhnliche Aufenthaltsräume in Zellen umnutzt.
Im Aargau schiebt man die Ausstellung der Haftbefehle für den Vollzug so weit wie möglich hinaus. Das gilt insbesondere für kurze Ersatzfreiheitsstrafen. Gänzlich löst das den Druck aber nicht. Denn eine drohende Verjährung der Strafen sitzt den Justizdepartementen dabei ständig im Nacken.
Immer mehr bleiben immer länger in Haft
Doch warum sind die Belegungszahlen in den letzten Jahren so rasant gestiegen? Für den Schweizer Strafvollzugsexperten Benjamin Brägger ist eine Kombination von zahlreichen Faktoren für die derzeitige Misere verantwortlich.
«Seit 2007 gibt es ein neues Strafrecht», so Brägger. Dessen Fokus liege unter anderem auf der Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit, wobei dabei der Freiheitsentzug immer stärker in den Mittelpunkt gerückt sei. Laut Brägger führte und führt das dazu, dass viele Leute gar nicht oder nur sehr spät bedingt aus dem Freiheitsentzug entlassen werden.
Im unteren und mittleren Kriminalität wurde die Geldstrafe seit 2007 die neue Hauptstrafe. Doch viele der Verurteilten könnten die ihnen auferlegten Geldstrafen nicht bezahlen. Die Folge: «Die Leute bleiben länger drin und «verstopfen» dadurch das System.» Hinzu komme die demografische Entwicklung und die Attraktivität der Schweiz für sogenannte Kriminaltouristen.
Bau neuer Gefängnisse hinkt Erfordernissen hinterher
All das hat in der Summe dafür gesorgt, dass die Schweizer Gefängnisse übervoll sind. Die Kapazität hinkt den Erfordernissen ständig hinterher. Da hilft es auch nichts, wenn zum Beispiel wie in Basel die Kapazitäten für den geschlossenen Vollzug in den letzten drei Jahren verdoppelt wurden.
Schnelle Abhilfe sei trotz des Mangels nicht in Sicht. «Der Bau neuer oder die Erweiterung bestehender Gefängnisse ist nun mal ein langwieriger Prozess», gibts sich Knuchel keinerlei Illusionen hin.
Mehr Sicherheit braucht auch mehr Geld
Für die Zukunft bieten sich laut Brägger zwei Möglichkeiten: Entweder man ändert das Sanktionensystem – also, man sperrt weniger schnell und weniger lang ein – oder aber man baut viel mehr Gefängnisplätze.
Eine weitere Forderung Bräggers: «Wir brauchen mehr gesicherte Plätze für psychisch Kranke.» In Basel trifft diese Forderung auf offene Ohren. Denn «die zunehmende Zahl an psychisch kranken Straftätern erschwert das Zusammenleben der Insassen und die Arbeit des Gefängnispersonals zusätzlich», so das Justizdepartement in einem Schreiben.
Doch Brägger weiss, dass entsprechende Massnahmen sehr viel Geld kosten würden. «Häufig sind aber genau die Politiker, welche lautstark mehr Sicherheit fordern, nicht bereit, auch das dafür notwendige Geld auszugeben.»