Die Tradition des Laienrichtertums wird immer öfter in Frage gestellt. Trotzdem wird etwa im Kanton Uri sogar das höchste Kantonsgericht von Laien betrieben: Heute erst wurden 23 Laienrichter vereidigt.
Sie sollen unabhängig urteilen und unbefangen sein. In einem kleinräumigen Kanton wie Uri ist das eine besondere Herausforderung. Diese könne man jedoch meistern, findet Stefan Flury, einer der neuen Laienrichter. Und: «Ein Eid bindet und gibt einem Kraft für die bevorstehende Tätigkeit.»
(K)eine Frage der Erfahrung
Flury leitet momentan das Tiefbauamt des Kantons Uri. Er wird im Sommer pensioniert und nimmt dann die Arbeit als Richter auf. Falls sich Interessenskonflikte ergeben würden aus seiner früheren Tätigkeit, sei er verpflichtet, dies dem Gerichtspräsidenten zu melden.
Juristische Erfahrung braucht es nicht, aber sicher Offenheit, sich in die Materie einzulesen und allenfalls Weiterbildungen zu machen.
Gerichtsurteile fällen ohne juristische Ausbildung sei möglich, sagt auch Angelica Züst. Die 29-jährige Sozialarbeiterin ist die jüngste Urner Richterin: «Juristische Erfahrung braucht es nicht, aber sicher Offenheit, sich in die Materie einzulesen und allenfalls Weiterbildungen zu machen.»
Natürlich habe sie Respekt vor juristisch komplexen Fällen. Sicherheit gebe ihr aber, dass an der Spitze des Landgerichts und des Obergerichts jeweils ein Jurist stehe.
Diese Mischung aus Professionalität und Miliztätigkeit habe sich in Uri bewährt, sagt Justizdirektorin Heidi Z'graggen: «Sie gewährt auch eine gute Akzeptanz eines Richterspruchs. Rechtsfrieden ist wiederhergestellt, wenn ein Richterspruch auch akzeptiert wird.»
Ausgebildete Richter geben ihren gesunden Menschenverstand nicht an der Schwelle zum Gerichtsaal ab.
Kritisch betrachtet der Rechtsprofessor Felix Bommer von der Universität Zürich die Laienrichter. Dass diese «menschlicher» urteilten, will er nicht gelten lassen: «Das heisst quasi: Laienrichter können sich vom Gesetz entfernen, wenn sie die Anwendung des Gesetzes für inhuman halten.» Ein solcher «Dispens» könne es in einem Rechtsstaat nicht geben.
Dass Laienrichter von ihrem Erfahrungsschatz aus dem «echten Leben» profitierten, betrachtet der Jurist ebenfalls mit Skepsis: «Ausgebildete Richter geben ihren gesunden Menschenverstand ja nicht an der Schwelle zum Gerichtsaal ab.»
Verlängerung der Demokratie in den Gerichtssaal?
Was für Laienrichter spricht: Wenn das Volk miturteilt, werde die Justiz glaubwürdiger. In dieser Denkweise sitze der einfache Bürger gewissermassen mit im Gerichtssaal, fasst Bommer zusammen: «Die Frage ist aber, woher demokratische Legitimation der Justiz rührt.» Für Bommer ist diesbezüglich bedeutsamer, dass die erstinstanzlichen Gerichte in der Schweiz meist vom Volk oder von einem Parlament besetzt werden.
Und: Oft werden Laienrichterurteile bei einem Weiterzug an eine höhere Instanz korrigiert. Für Bommer ist dies dann staatspolitisch problematisch, «wenn sich zeigen sollte, dass Laienrichter chronisch überfordert sind.»
Das hänge zwar von der Materie ab. Aber: Das Strafrecht sei komplexer geworden, insofern seien die Umstände dem Laienrichtertum wenig günstig gesinnt: «Laienrichter werden etwa zum Problem, wenn komplexe Fälle – zum Beispiel Wirtschaftsstraftaten – beurteilt werden müssen.»
Bommers Fazit: Laienrichter könnten dort geeignet sein, wo in einem Gerichtskreis tatsächlich zu wenig Arbeit anfallen würde, dass sie nicht einmal ein Teilzeitpensum eines professionellen Richters rechtfertigten. Auch bei «relativ einfachen Sachverhalten» könnten sie eingesetzt werden.