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«Gegen Digitalisierung» Berner Staatskalender wird online gesperrt: Historiker schockiert

Aus Datenschutzgründen wurden Onlinezugänge des Berner Staatskalenders gesperrt. Ein Rückschritt in der Digitalisierung?

110 Jahre beträgt die Sperre auf die Digitalisate des Berner Staatskalenders. Das heisst, Exemplare des Kalenders, die jünger als 110 Jahre alt sind, können nicht online eingesehen werden. Das war nicht immer so.

Der Staatskalender ist ein jährlich publiziertes Dokument, das verschiedene Informationen und Personen verzeichnet, die für den Staat Bern im Einsatz sind. Wenn er nach einem Jahr nicht mehr aktuell ist, geht er in die Bestände des Staatsarchivs über. Er war dort vor Ort und seit 2017 auch online einsehbar.

Person reklamierte – Datenschützer reagierte

Dies war auch der Knackpunkt, der zur Sperrung führte. Eine Person, die einst für den Staat im Einsatz war, fühlte sich offenbar gestört, dass sie in einem der archivierten und online zugänglichen Kalender aufgelistet war. Auf diesen Hinweis reagierte der Berner Datenschutzbeauftragte Ueli Buri und überprüfte die rechtliche Situation.

Titelseiten mit Schlosssymbolen
Legende: Schlösschen auf den Dokumenten zeigen, dass der Zugriff auf die Exemplare des Staatskalenders nicht möglich ist. e-periodica.ch/Printscreen

Die sagt laut Buri folgendes: Informationen über die in der Verwaltung beschäftigten Personen – also jene aus dem aktuellen Staatskalender – sollten der Öffentlichkeit zugänglich sein, auch online. Bei historischen Dokumenten sei das anders. Auch diese sollen der Öffentlichkeit zugänglich sein, einfach nicht online, sondern physisch im Archiv.

Es fehlte also die gesetzliche Grundlage für eine Onlinepublikation der Dokumente. Buri setzte den Datenschutz durch und sperrte den Onlinezugang für die Staatskalender für die letzten 110 Jahre.

Herber Schlag für die historische Forschung

Die Frage der Verhältnismässigkeit der Sperre stellt sich besonders mit Blick auf die lange Zeitdauer. 110 Jahre wurden vom Datenschutz gewählt, weil davon auszugehen ist, dass nach diesem Zeitraum alle Personen, die in den Dokumenten vorkommen, verstorben sind.

Mann zeigt mit Finger an Pressekonferenz
Legende: Sacha Zala, der Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Geschichte, findet das Verhalten des Datenschutzes absurd. keystone/valentin flauraud

Aus der Geschichtswissenschaft gibt es wenig Verständnis für diesen Schritt. «Für mich ist das absolut unverständlich», sagt Sacha Zala. Er ist Historiker und Direktor der Schweizerischen Gesellschaft für Geschichte (SGG). «Quellen wie ein Staatskalender sind für die historische Forschung unerlässlich. Sie lassen die Rekonstruktion eines Staatswesens zu.»

Onlinedokumente erneut zu sperren, ist ein Schritt gegen die Digitalisierung.
Autor: Sacha Zala Direktor Schweizerische Gesellschaft für Geschichte

Eine Forschungsstelle brauche so einen Kalender unter Umständen mehrmals täglich. Gerade aus diesem Grund sei die digitale Zugänglichkeit der Quellen zentral, so Zala. Der Schritt, die Quellen, die rund fünf Jahre öffentlich online zugänglich waren, wieder vom Netz zu nehmen, stösst beim Historiker auf Unverständnis: «Das ist ein abstruser Schritt gegen die Digitalisierung.»

Solange keine gesetzliche Grundlage besteht, müssen wir den Datenschutz wahren.
Autor: Ueli Buri Datenschutzbeauftragter Kanton Bern

Datenschützer Ueli Buri verteidigt sein Vorgehen: «Solange keine gesetzliche Grundlage besteht, müssen wir das Datenschutzgesetz wahren. Mit der Sperrfrist von 110 Jahren können wir eine Publikation ohne gesetzliche Grundlage ohne weiteres verantworten.»

Rechtsweg nicht ausgeschlossen

Für die Co-Präsidentin des Vereins für Archivarinnen und Archivare ist die Entscheidung des Datenschützers ein Akt der Vorsicht: «Mit der Sperre von 110 Jahren ist man den sichersten Weg gegangen. Man weiss nicht, was mit den Daten im Internet passiert. Die Sperrdauer wurde gewählt, aus Angst, etwas Falsches zu tun.»

Forscherinnen und Wissenschaftler sind wegen des Wegsperrens des Staatskalenders in Bern aufgeschreckt. Sacha Zala von der SGG ist bei den Verantwortlichen vorstellig geworden und schliesst auch rechtliche Schritte nicht aus.

Echo der Zeit, 18.10.2023, 18:00 Uhr ; 

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