Das Treffen in den Büros der Crypto AG am Rande der indonesischen Hauptstadt Jakarta im Jahr 2003 verlief unspektakulär. «Es war Smalltalk», sagt Georges Martin, der damals Schweizer Botschafter in Indonesien war. Neben Vertretern der Crypto AG sei auch ein offizieller Vertreter Indonesiens dabei gewesen.
Nach den Enthüllungen der «Rundschau» sei ihm heute klar, was der Zweck des damaligen Treffens in Jakarta war: Die Crypto AG habe mit der Nähe zur offiziellen Schweiz Zweifel der Indonesier bezüglich der Crypto-Geräte ausräumen wollen.
Tatsächlich zeigen die der «Rundschau» vorliegenden Geheimdienst-Papiere: Indonesien hatte in den 1990er Jahren bei der Crypto AG Verdacht geschöpft. Umso wichtiger dürfte für die Firma danach die Nähe zur offiziellen Schweiz gewesen sein: «Für Länder wie Indonesien sind die Botschafter sehr wichtig. Für die Crypto AG war es somit interessant, dass ich bei dem Treffen an Bord war», sagt Georges Martin.
«Ich war so blöd»
«In einer ersten Reaktion auf die Enthüllungen habe ich mich verraten gefühlt», sagt der pensionierte Spitzendiplomat. «Ich war so blöd, mich zum CIA-Crypto-AG-Geräteverkäufer zu machen. Das geht nicht. Wir sind neutral. Nicht ‹westlich-neutral›, wie manche sagen, sondern neutral. Punkt. Schluss».
Georges Martin stieg zum Abschluss seiner Diplomatenlaufbahn zum stellvertretenden Staatssekretär im Aussendepartement EDA auf. Rückblickend sagt er, er sei naiv gewesen, die Leute der Crypto AG zu treffen. Bereits damals gab es Spekulationen über die Firma. «Für mich waren das aber nicht mehr als Gerüchte.»
Schaden für die Schweiz
Jetzt, da die Spionage-Operation belegt ist, zeigt sich Martin empört: «Geräte mit Hintertüren verkaufen – das ist Betrug. Welche Firma könnte Zahnpasta verkaufen, eingepackt in Schokoladenpapier?»
Dass sich laut dem Bundesrat nach den Enthüllungen noch keine ausländische Regierung bei der Schweiz gemeldet habe, erstaunt ihn nicht: «Die müssen das zuerst verdauen. Ich glaube, die Sache wird sich auf die guten Dienste der Schweiz auswirken. Es wird schwieriger werden zu sagen: ‹Wir sind die Besten auf der Welt›.»
«Salami-Taktik funktioniert nicht»
Entscheidend sei, dass die ganze Wahrheit jetzt rasch ans Licht komme. «Man darf nicht auf eine Salami-Taktik setzen: jeden Tag eine neue Enthüllung». Es wiederhole sich in der Schweiz ein Muster:
Auch bei früheren aussenpolitischen Krisen, etwa beim Bankgeheimnis oder den nachrichtenlosen Vermögen, habe man zuerst gesagt: Kein Problem, alles längst bekannt. Auch dieses Mal werde dies nicht funktionieren: «Ich kann Ihnen versichern: Es wird nicht ruhig um das Thema, bis wir die Wahrheit kennen.»
«Rundschau», 19.02.2020, 20:05 Uhr; kurn