Das Büro des Ständerats will nicht, dass der Bundesbeschluss zur zweiten Kohäsionsmilliarde an ärmere EU-Länder vom Rat in der Herbstsession beraten wird. Dagegen wehrt sich der Zuger FDP-Ständerat Matthias Michel. Er möchte rasch vorwärtsmachen und sieht die Zahlung als ein Zeichen der Deeskalation gegenüber Brüssel.
SRF News: Sie finden das Verschieben der Beratungen im Ständerat über die zweite Kohäsionszahlung auf Dezember keine gute Idee. Weshalb nicht?
Matthias Michel: Der Bundesrat hat die Verhandlungen über ein Rahmenabkommen mit der EU abgebrochen, möchte die Beziehungen aber wieder normalisieren. Darin sollte ihn das Parlament unterstützen.
Der Bundesrat würde wieder Handlungsfreiheit erhalten.
Es braucht jetzt ein politisches Zeichen gegenüber der EU – und die Kohäsionsmilliarde ist ein solches Zeichen. Der Bundesrat würde dadurch wieder Handlungsfreiheit in der Aussenpolitik erhalten, für die er ja verantwortlich ist.
Die Gegner einer raschen Behandlung argumentieren, das Thema sei zu wichtig, es brauche fundiertere Diskussionen, was Zeit brauche. Leuchtet das nicht ein?
Das Parlament hat über die Kohäsionsmilliarde eigentlich bereits beraten und ihr zugestimmt. Es geht jetzt nur noch um die Frage, ob man Bedingungen für die Auszahlung definieren soll, je nach Verhalten der EU.
Die Beziehungen zur EU sind mehr wert als Sandkastenspiele.
Ich bin dagegen, dass man sich gleich verhält wie die EU und sachfremde Geschäfte miteinander verknüpft. Wenn man Vorbedingungen definiert, kommt mir das vor, wie Kinder im Sandkasten – jeder bewirft jeden mit Sand, keiner will angefangen haben und keiner will aufhören. Die Beziehungen zur EU sind aber mehr wert als Sandkastenspiele.
Die EU hat die Schweiz vom Forschungsprogramm Horizon Europe ausgeschlossen, mindestens bis sie die Kohäsionsgelder freigegeben hat. Kommt es dabei wirklich darauf an, ob das drei Monate früher oder später der Fall ist?
Es kommt in der Tat darauf an: Wenn der Ständerat mit der Beratung nicht im September beginnen kann, dann verzögert sich das Ganze wahrscheinlich bis in den Frühling 2022. Zudem befinden wir uns gerade jetzt in einer sensiblen Zeit, in der die EU einen Bericht erstellen lässt, wie die Beziehungen zur Schweiz fortgeführt werden sollen.
Das ist ein schlechtes Signal an die EU.
Jedes Signal seitens der Schweiz wird derzeit in Brüssel wahrgenommen. Wenn wir jetzt die Diskussion zur Kohäsionsmilliarde von vorne beginnen, ist das ein schlechtes Signal an die EU.
Würde das Parlament jetzt nicht seine Glaubwürdigkeit aufs Spiel setzen, wenn es das Geld ohne Gegenleistung freigibt?
Nach Abbruch der Verhandlungen seitens der Schweiz beginnt jetzt so etwas wie eine neue Zeitrechnung in den Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU. Deshalb könnte die Schweiz die Kohäsionsmilliarde als Zeichen jetzt durchaus aussenden.
Es ist jetzt an der Schweiz, eine Türe aufzustossen.
Dabei würde ich schon erwarten, dass die EU die Frage der Börsenäquivalenz danach klären würde. Aber es ist jetzt an der Schweiz, eine Türe aufzustossen – ohne Bedingung und Verknüpfung – in welchem Bereich auch immer.
Sie würden es also riskieren, die Kohäsionsmilliarde jetzt möglichst schnell freizugeben mit dem Risiko, dass die Schweiz im Gegenzug von der EU nichts erhält?
Ich würde jetzt zumindest mit den Beratungen im Parlament beginnen. Welche Erwartungen, Bedingungen oder Aufgaben an den Bundesrat in den Aussenpolitischen Kommissionen der Räte dann gestellt werden, werden wir sehen. Im Übrigen ist das durchaus möglich, denn auch andere Bundesbeschlüsse werden häufig von beiden Räten in derselben Session beraten.
Das Gespräch führte Hans Ineichen.