- Vor dem Bundesstrafgericht in Bellinzona wird heute ein Terrorismusfall verhandelt. Es ist bereits der 17. seiner Art.
- Ein 27-jähriger Mann steht vor Gericht, weil er im Internet unter anderem Medienmitteilungen des IS weiterverbreitet und Videos des Islamischen Staates auf deutsch untertitelt und geteilt hat.
- Was bei der Rechtsprechung auffällt: Die Behörden haben die Schraube im Laufe der letzten Jahre angezogen.
Unter einem Terroristen stellt man sich normalerweise jemanden vor, der ein Attentat plant oder ausführt, jemanden, der Gewalt anwendet. Eine Studie zu allen Schweizer Terrorismusfällen in den letzten Jahren hat aber gezeigt, «dass es sich beim Grossteil dieser Fälle um Handlungen in der digitalen Sphäre handelt», sagt Ahmed Ajil, Kriminologe an der Universität Lausanne.
«Es geht also um Bilder, Videos oder Kommentare, die auf privaten Webseiten oder Social-Media-Plattformen wie Facebook gepostet oder via Whatsapp oder Telegram verschickt werden.»
Rechtsprechung hat sich verändert
Zusammen mit einem Kollegen hat Ajil alle Terrorismusfälle analysiert, die das Bundesstrafgericht in den letzten 17 Jahren verhandelt hat – also seit es dieses Gericht überhaupt gibt. Seine Analyse hat auch gezeigt: In diesen 17 Jahren gab es nicht reihenweise Terrorismus-Prozesse: In 17 Jahren waren es 17 Fälle mit 32 angeklagten Personen. Die meisten Angeklagten wurden verurteilt – zum Teil auch wegen kleinerer Delikte, die nichts mit Terrorismus zu tun haben.
Wir sind so weit, dass es als Unterstützung des IS gilt, wenn Sie drei Propagandabilder per Whatsapp an eine einzige Person verschicken.
Allerdings: Die Schweizer Rechtsprechung im Zusammenhang mit Terrorismus hat sich in den letzten Jahren verändert. Was heute strafbar ist, müsse vor 15 Jahren noch nicht strafbar gewesen sein, sagt Ajil, gerade bei Internetdelikten. «Das Posten eines Bildes, Kommentars oder Videos auf den Sozialen Medien wurde zuerst noch nicht als Unterstützung gewertet.»
Politik trieb strengere Gesetze voran
Vor knapp 10 Jahren sagte das Bundesstrafgericht noch, man müsse systematisch IS-Material verbreiten, um als IS-Unterstützer verurteilt zu werden. Man müsse also mit der Propaganda viele Menschen erreichen. Dies habe sich nun geändert, sagt der Kriminologe: «Bei den jüngsten Fällen sind wir so weit, dass es als Unterstützung des IS gilt, wenn Sie drei Propagandabilder per Whatsapp an eine einzige Person verschicken.»
Es ist also nicht mehr nötig, mit den Bildern oder Videos viele Menschen zu erreichen, um als Terrorist oder Terroristin verurteilt zu werden. Ein Grund für diese strengeren Urteile sind die Gesetze. Seit 2015 gibt es in der Schweiz zum Beispiel ein extra Al-Kaida-und-IS-Gesetz. Dass IS-Sympathisanten heute schneller verurteilt werden, ist also politisch gewollt: Das Parlament hat die Gesetze verschärft.
Strengere Gesetze seien aber nur ein Grund für die strengeren Urteile, sagt Ajil. Die Gerichte würden diese Gesetze gleichzeitig auch strenger interpretieren: «Es lässt sich sehr gut nachzeichnen, dass die beiden zentralen Begriffe – die Unterstützung sowie die Beteiligung – über die Jahre ausgedehnt und aufgeweicht wurden.»
Heute kann bereits ein weitergeschicktes Bild an eine einzelne Person als Unterstützung einer terroristischen Organisation gelten. Wer übers Internet Kontakt zu Menschen in Syrien hat, kann heute bereits als Mitglied des IS gelten. «Es werden also Handlungen geahndet, die sich zeitlich und räumlich in einem Bereich abspielen, der ziemlich entkoppelt ist von eigentlichen Gewalttaten.»