Der Auftrag kommt aus der Politik und nennt sich etwas lapidar «Weiterentwicklung der Armee», kurz WEA: Sie soll sicherstellen, dass die Armee auch für die künftigen Herausforderungen gerüstet ist. Denn die Streitkräfte müssen sich permanent der Situation anpassen: neue Bedrohungen, geopolitische Umbrüche, technologischer Fortschritt.
Dass der Modernisierungsschub im VBS reibungslos abläuft, soll Korpskommandant Philippe Rebord überwachen. Seit Anfang Jahr ist er der höchste Militär in der Schweiz. In der Öffentlichkeit hielt sich der Romand bisher zurück. Im «Tagesgespräch» von Radio SRF erklärte Rebord nun, wo die Armee steht – und wo sie unter seiner Führung hin soll.
Philippe Rebord zu seinem Führungsstil:
Rebord erscheint im Kampfanzug zum Gespräch. Den Stahlhelm hat er aber zuhause gelassen, auch im übertragenen Sinn: Zuvorkommend, freundlich, klug und unkompliziert – über den neuen Armeechef liest man nur Gutes. Und auch die Parlamentarier äussern sich positiv, genauso wie die Untergebenen in der Armee. Rebord wird geschätzt statt gefürchtet. Dass diese Zugänglichkeit dereinst als Führungsdefizit ausgelegt werden könnte, glaubt Rebord nicht: «Das ist mein Führungsstil und den werde ich nicht ändern. Der Soldat ist ein Bürger in Uniform, ich bin ein Primus inter pares. Wir begegnen uns auf Augenhöhe.»
...zur aktuellen Bedrohungslage:
«Die Schweiz ist umzingelt von Freunden», lautet ein Bonmot pazifistisch gesinnter Eidgenossen. Die Anschlussfrage, über 25 Jahre nach Ende des Kalten Kriegs: Wozu braucht die Schweiz dann eine Armee? «Um heutigen Bedrohungen wie Terror, Migration und Katastrophen zu begegnen, brauchen wir Leute am Boden», antwortet Rebord. Die Schweiz könne sich nicht einfach unter dem Sicherheitsschirm der Nato verstecken. Und sie müsse sich auf neue Arten der Kriegführung vorbereiten, allem voran auf Cyberkriege: «Nächstes Jahr wird die erste Cyber-Kompanie der Armee starten.» Der Auf- und Ausbau der Cyber-Abwehr sei allerdings ein langfristiges Projekt.
...zur «Weichspüler»-RS:
Disziplin, Strenge und Drill seien ein Mittel zum Zweck, aber nicht Selbstzweck, findet Rebord: «Wir müssen die Jungen gewinnen.» Schlagzeilen machten zuletzt Pläne, die Rekrutenschule im ersten Monat weicher zu gestalten. Lange Schlafenszeiten, kürzere Märsche mit Turnschuhen, und mehr pädagogisches Gespür seitens der Vorgesetzten: Nicht nur die Stahlhelm-Fraktion monierte, die RS verkomme zur Wellness-Oase. Rebord will das nicht gelten lassen: «Es braucht eine Anpassungsphase zwischen zivilem und militärischem Leben.» Die Realität der heutigen Jugend habe sich verändert. Alles sei weniger robust, weniger physisch geworden: «Wir müssen uns anpassen, denn wir verlieren zu viele Rekruten im ersten Monat.»
...zur beschleunigten Mobilmachung:
Die Armee muss sich neuen Anforderungen und Bedrohungen anpassen. Sicherheitsexperten sagen, im jetzigen Zustand weise sie Fähigkeitslücken auf, sogar die Grundbereitschaft sei gefährdet. Mit der Weiterentwicklung der Armee soll nun alles besser werden: Schneller, effizienter und auf der Höhe der Zeit. Rebord anerkennt den Nachholbedarf, und nennt ein Beispiel: «Die heutigen Bedrohungen wie der Terrorismus verlangen eine rasche Reaktionszeit der Sicherheitskräfte des Landes.» Um für den Ernstfall gerüstet zu sein – etwa auch in der Katastrophenhilfe – soll nun eine schnelle Eingreiftruppe entstehen: Innert drei Tagen sollen 8000 Soldaten voll ausgerüstet mobilisiert werden, innert 10 Tagen gar 35'000. «Das schafft bislang keine Armee in Europa.»
...zur Reduktion der Truppenstärke:
Früher hiess es: «Die Schweiz hat keine Armee, sie ist eine Armee.» Lang ist’s her: Seit Ende des Kalten Krieges werden die Bestände stetig reduziert, von einer einst 800'000 Mann starken Truppe sind 120'000 übriggeblieben. Ein Aderlass für die helvetische Schlagkraft und Verteidigungskräfte? Rebord winkt ab: «Es macht bei der heutigen Bedrohung keinen Sinn, 800'000 Soldaten bereit zu halten. Das wäre absurd, auch aus Sicht der Wirtschaft.» Doch trotz der Reduktion hat die Armee Mühe, genügend Soldaten zu rekrutieren. «In den letzten Jahren haben wir die geforderten 18'000 jeweils erreicht, und drei Viertel der Diensttauglichen leisten ihren Dienst auch.» Dies sei ein Beweis dafür, dass auf die junge Generation Verlass sei, findet Rebord.
...zu Abschleichern in den Zivildienst:
Ein «Hauptschuldiger» für grassierende Armeemüdigkeit ist schnell ausgemacht: der Zivildienst. «Wenn jemand einen Gewissenskonflikt hat, darf er laut Verfassung in den Zivildienst», gibt sich Rebord staatsmännisch. Aber: «Natürlich stehen wir in engstem Kontakt mit dem zuständigen Wirtschaftsdepartement.» Diesen «Kontakt» haben Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann und bürgerliche Politiker registriert: Der Zivildienst soll per Gesetz unattraktiver werden. Statt 1,5 Mal länger soll er künftig doppelt so lange wie der Militärdienst dauern. Das alles sei Sache der Politik, meint Rebord: «Unser Problem ist schlicht, dass 40 Prozent unserer ausgebildeten Soldaten die Armee nach der Rekrutenschule verlassen.» Das sei ein enormer Verlust an Know-how und Ressourcen.
...zur Frauenfrage:
In gewissen Kantonen sind bis zu 40 Prozent der Jungen dienstuntauglich. «Eine Milizarmee ist ein Spiegel der Gesellschaft», sagt Rebord. Einen Ausweg könnten die Frauen liefern, allerdings machen sie weniger als 1 Prozent des Personalbestandes der Armee aus. «In der Schweiz werden ihre Talente überall eingesetzt. In der Armee meiner Meinung nach aber zu wenig», so der 60-Jährige. Das aktuelle Wehrmodell sehe allerdings nicht vor, Frauen wie etwa in Norwegen zum Dienst zu verpflichten. Gegen einen obligatorischen Informationstag für Frauen, wie er derzeit diskutiert wird, will sich Rebord nicht aussprechen: «Ich finde es immer gut, wenn wir möglichst breit über Sicherheit informieren können.»