Wenn man das Wort «Zündhölzli» hört, denkt man rasch an das Lied von Mani Matter.
I han es Zündhölzli azündt
Und das het e Flamme gäh
Mani Matter malt sich darin aus, wie ein Zündhölzli die ganze Welt ins Elend stürzen könnte. Tatsächlich zerstörten Zündhölzer das Leben von Menschen – vor über hundert Jahren im bernischen Frutigtal. Männer, Frauen und auch Kinder, die früher Streichhölzer herstellten, wurden krank, tödlich krank. Eine vergessene Geschichte über das Gift aus der Streichholzschachtel.
Frutigen im Berner Oberland um 1850. Das Dorf erlebte schwierige Jahre. Ein Brand zerstörte etliche Gebäude, es gab eine Überschwemmung und der Kartoffelkäfer frass die Ernte auf. Die Leute im Frutigland, in ihren kleinen Höfen verstreut auf den Hügeln, litten Hunger. Jeder Vierte war abhängig von der Armenkasse.
Ein paar Herren kamen auf die Idee, eine Zündholzfabrik in der Region zu eröffnen. Solche Fabriken hatten sie in Interlaken oder Zürich gesehen. Rund zehn Fabriken gab es in der Anfangszeit. Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts wuchsen sie auf rund 20 an, erzählt Hans Egli. Der Chemiker und Autor hat für die Kulturgutstiftung Frutigland die Geschichte der Zündholz-Industrie in der Region aufgearbeitet und eine Broschüre dazu veröffentlicht.
Zudem zeigt er im neuen Zündhölzlimuseum in der ehemaligen Zündhölzlifabrik Kanderbrück, wie Frutigen zum Zentrum der schweizerischen Zündholzfabrikation wurde.
Die armen Leute hatten keine andere Wahl, als dort zu arbeiten.
«Das war sicher nicht nur, um den armen Leuten zu helfen. Der Drang, für sich etwas zu machen, war mindestens genauso gross», sagt Egli. Die Armen hätten keine andere Wahl gehabt, als in oder für diese Fabriken zu arbeiten. «Es brauchte kein grosses Know-how dafür, jeder konnte diese Arbeit machen.»
Die Fabriken sahen anders aus, als man sich dies heute vorstellt. Meist waren es Hütten, sechs auf zehn Meter gross, teilweise normale Wohnhäuser. «Es war ganz eng, finster, es gab kleine Fenster, keine Lüftung, kein Wasser», erzählt Hans Egli. Auch das Mittagessen nahmen sie dort zu sich, in den verdreckten Räumen.
Ein Teil der Arbeit, vor allem die Herstellung der Schachteln, machten die Leute bei sich zu Hause, als Heimarbeit. Manche Familie verarbeitete jährlich bis zu drei Baumstämme zu Zündholz-Schachteln.
In der Fabrik begann der Arbeitstag morgens um sechs Uhr, er dauerte gut und gerne 14 Stunden, alles für ein paar Rappen Lohn.
Die Leute erhielten das Geld nicht bar ausbezahlt, sondern waren gezwungen, ihr Guthaben im Verkaufsladen des Fabrikanten in Waren umrechnen zu lassen. Sehr oft bekamen sie nicht die gewünschten Lebensmittel und am Schluss machten sie beim Fabrikanten gar Schulden, weil sie mehr Lebensmittel brauchten, um die Familie zu ernähren, als sie zugute gehabt hätten.
So wurden Zündhölzer hergestellt
Die Arbeiterinnen und Arbeiter schnitten aus Tannenholz dünne Streifen, die aussahen wie Spaghetti. Sie schnitten sie in Zündholz-Länge, was eine gefährliche Arbeit war. Manche verloren durch das scharfe Beil einen oder zwei Finger.
Bevor die Hölzer in der giftigen, chemischen Brennmischung getaucht und verpackt wurden, mussten sie in Rahmen eingespannt werden. Das machten oft Kinder. Es hiess, sie könnten dies mit ihren kleinen Fingerchen besser machen.
Sie arbeiteten vor der Schule und holten die «verpasste» Zeit durch den Unterricht am Abend nach – bis zehn oder elf Uhr. Einige Kinder waren erst fünfjährig, bei der Heimarbeit wurden gar Kinder ab dem dritten Lebensjahr für kleine Hilfsarbeiten gebraucht.
Kinderarbeit und Krankheit
Gestört hat das damals nicht, wie der Autor Hans Egli bei seiner Archivarbeit herausgefunden hat. Erst in den 1870er-Jahren wurde die Kinderarbeit in den Zündholzfabriken verboten. «Dieses Verbot war aber umstritten, es sei der Untergang der Industrie, hiess es.» Das Gesetz wurde trotzdem angenommen. Kinderarbeit sei danach in Fabriken zwar die Ausnahme gewesen, nicht aber zu Hause. Da mussten die Kinder weiterhin hunderttausende Zündhölzer in Rahmen legen – Heimarbeit wurde nicht kontrolliert.
Gleichzeitig tauchte ein anderes Problem auf. Immer mehr Arbeiterinnen und Arbeiter hatten Problem mit ihrem Kiefer. Ihr Zahnfleisch entzündete sich, Zähne wurde locker, fielen aus oder man musste sie ziehen. Das schmerzte. «Die Leute müssen auch ganz fürchterlich gestunken haben, weil die Kieferknochen verfault waren», erzählt Hans Egli.
Weil sie den ganzen Tag mit dem giftigen Phosphordampf arbeiteten, erlitten viele von ihnen die Krankheit Phosphor-Nekrose – im Volksmund auch «Chiferfrass» genannt. Wurde die Krankheit vernachlässigt, griffen Eiterung und Entzündung auch auf andere Knochen über, was den Tod der Patientin oder des Patienten herbeiführte.
Die Leute müssen ganz fürchterlich gestunken haben.
Viele Betroffenen hatten jedoch kein Geld für einen Arzt, sie rissen die verfaulten Knochen selber aus. Einige liessen sich operieren, hatten danach aber Schulden.
Dasselbe eidgenössische Fabrikgesetz 1877, das Arbeiter, vor allem Frauen und Kinder besser schützte, sollte auch vor Phosphor schützen. Es half jedoch nicht wirklich, wie Egli erzählt. Im Gegenteil: Die Phosphor-Zündhölzer wurden einfach im Versteckten zu Hause hergestellt, wo die Arbeitsbedingungen noch prekärer waren als in den Fabriken.
In der Region gab es Kritik. Rund um das Jahr 1900 sagte der Frutiger Nationalrat Arnold Gottlieb Bühler im eidgenössischen Parlament: «Ich gehe gar so weit zu behaupten, dass es für unsere Gegend ganz offenbar ein Glück gewesen wäre, wenn diese Industrie nie zu uns gekommen wäre.»
Der gesetzliche Schutz der Arbeiterinnen und Arbeiter kam 1906. Es gab eine internationale Konvention zum Sozialschutz, die Phosphor-Zündhölzli verbot. Mehrere Staaten unterschrieben diese. «Das ist ein Schlüsselmoment in der internationalen Sozialgesetzgebung», sagt Bernhard Degen, Historiker an der Universität Basel. Lange habe man nicht auf die Gesundheit der Arbeiterinnen und Arbeiter geschaut.
«Die Berufskrankheiten gerieten erst dank den Fabrikinspektionen in den Fokus», so Degen. Es dauerte aber seine Zeit, bis sich diese Inspektoren eine Übersicht verschaffen konnten und die Autorität erhielten, durchzugreifen.
Der Zerfall der Zündholz-Industrie
Die Arbeitsbedingungen wurden zwar besser, die Konkurrenz aus dem Ausland aber immer grösser. Schweden war in der Industrie mit seinen Maschinen weit voraus, die grössten Fabriken gründeten mächtige Verbände, die sich gegen Ende des Ersten Weltkrieges mit amerikanischen Gesellschaften verbanden – eine mächtige Weltorganisation entstand. Auch Fabriken im Frutigtal wurden von den Schweden aufgekauft.
Dann kamen jedoch billige Importe aus Indien oder China und das Feuerzeug kam auf, was zum Niedergang der Zündhölzli-Industrie in Frutigen führte. 1972 machte die letzte Fabrik dicht. Im einstigen Zentrum der schweizerischen Zündholzfabrikation werden heute keinen «normalen» Zundhölzli mehr produziert. Eine einzige Firma existiert noch, sie produziert bengalische Stäbchen oder Wunderkerzen.
Ja I han es Zündhölzli azündt
Und das het e Flamme gäh
Und i ha für d'Zigarette
Welle Füür vom Hölzli näh
Aber ds Hölzli isch dervo-
Gspickt und uf de Deppich cho –
Gottseidank dass i's vom Deppich wider furt ha gno