Wenn man das Wort «Zündhölzli» hört, denkt man rasch an das Lied von Mani Matter.
I han es Zündhölzli azündt
Und das het e Flamme gäh
Mani Matter malt sich darin aus, wie ein Zündhölzli die ganze Welt ins Elend stürzen könnte. Tatsächlich zerstörten Zündhölzer das Leben von Menschen – vor über hundert Jahren im bernischen Frutigtal. Männer, Frauen und auch Kinder, die früher Streichhölzer herstellten, wurden krank, tödlich krank. Eine vergessene Geschichte über das Gift aus der Streichholzschachtel.
Zündholzschachteln im Laufe der Zeit
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Bild 1 von 5. Die Verpackung von Streichhölzern änderte sich im Laufe der Zeit. Bildquelle: zvg/Kulturstiftung Frutigland.
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Bild 2 von 5. Zündhölzer aus Kandergrund. Erst waren sie in runden oder ovalen Schachteln. Bildquelle: zvg/Kulturstiftung Frutigland.
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Bild 3 von 5. Mit der Zeit kamen sie in die bekannten eckigen Schachteln, die Etiketten wurden farbiger. Bildquelle: zvg/Kulturstiftung Frutigland.
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Bild 4 von 5. Die Etiketten zeigen den Zeitgeist auf, der sich veränderte. Sie waren der Mode unterworfen. Bildquelle: zvg/Kulturstiftung Frutigland.
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Bild 5 von 5. Später wurden auch einige Fabriken im Berner Oberland von den Schweden übernommen, weshalb die Sicherheitszündhölzer auch hier schwedisch angeschrieben wurden. Bildquelle: zvg/Kulturstiftung Frutigland.
Frutigen im Berner Oberland um 1850. Das Dorf erlebte schwierige Jahre. Ein Brand zerstörte etliche Gebäude, es gab eine Überschwemmung und der Kartoffelkäfer frass die Ernte auf. Die Leute im Frutigland, in ihren kleinen Höfen verstreut auf den Hügeln, litten Hunger. Jeder Vierte war abhängig von der Armenkasse.
Ein paar Herren kamen auf die Idee, eine Zündholzfabrik in der Region zu eröffnen. Solche Fabriken hatten sie in Interlaken oder Zürich gesehen. Rund zehn Fabriken gab es in der Anfangszeit. Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts wuchsen sie auf rund 20 an, erzählt Hans Egli. Der Chemiker und Autor hat für die Kulturgutstiftung Frutigland die Geschichte der Zündholz-Industrie in der Region aufgearbeitet und eine Broschüre dazu veröffentlicht.
Zudem zeigt er im neuen Zündhölzlimuseum in der ehemaligen Zündhölzlifabrik Kanderbrück, wie Frutigen zum Zentrum der schweizerischen Zündholzfabrikation wurde.
Die armen Leute hatten keine andere Wahl, als dort zu arbeiten.
«Das war sicher nicht nur, um den armen Leuten zu helfen. Der Drang, für sich etwas zu machen, war mindestens genauso gross», sagt Egli. Die Armen hätten keine andere Wahl gehabt, als in oder für diese Fabriken zu arbeiten. «Es brauchte kein grosses Know-how dafür, jeder konnte diese Arbeit machen.»
Fabrikanten in Frutigen um 1865
Die Fabriken sahen anders aus, als man sich dies heute vorstellt. Meist waren es Hütten, sechs auf zehn Meter gross, teilweise normale Wohnhäuser. «Es war ganz eng, finster, es gab kleine Fenster, keine Lüftung, kein Wasser», erzählt Hans Egli. Auch das Mittagessen nahmen sie dort zu sich, in den verdreckten Räumen.
Die Zündholzproduktion im Berner Oberland
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Bild 1 von 9. Die Zündholzproduktion wurde in mehreren Schritten vorgenommen. Arbeiterinnen und Arbeiter stellten Holzdraht und die Schachteln her. Sie führten Arbeiten aus wie Einlegen, Schwefeln, Tunken, Trocknen und Füllen. Bildquelle: zvg/Gemeinde Kandergrund.
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Bild 2 von 9. Dabei verwendeten sie vor allem Tannenholz, manchmal auch Fichten-, Kiefer- oder Birkenholz. Mit der Zeit wurden die Fabriken grösser und professioneller. Das Verfahren änderte sich nicht gross. Bildquelle: zvg/Gemeinde Kandergrund.
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Bild 3 von 9. Sie hobelten das Holz in Späne, um Schachteln herstellen zu können. Dafür schnitten sie es auf die richtige Grösse zurecht. Bildquelle: zvg/Gemeinde Kandergrund.
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Bild 4 von 9. Sie schnitten den Holzdraht dabei oft auf die zehnfache Länge eines Zündholzes. Nach dem Trocknen kamen die Drähte in der Fabrik in die Schneidmaschine. Bildquelle: zvg/Thomas Gyseler.
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Bild 5 von 9. Die einzelnen Hölzchen wurden in einen Rahmen gelegt, vorgewärmt und in flüssigen Schwefel getaucht. Nach dem Trocknen folgte das Tunken. Bildquelle: zvg/Thomas Gyseler.
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Bild 6 von 9. Die Produktion wurde immer automatischer. Die Komplettmaschine tunkte die Hözler in die Zündmasse. Die Masse setzte sich gewöhnlich aus Leim, Stärkekleister, Kreide und den Zündstoffen Phosphor und Salpeter zusammen. Bildquelle: zvg/Gemeinde Kandergrund.
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Bild 7 von 9. Es gab auch Füll- und Ettiketiermaschinen. Bildquelle: zvg/Gemeinde Kandergrund.
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Bild 8 von 9. Die Zündhölzer wurden oft aber auch von Hand gefüllt. Hier füllt die Arbeiterin grüne, überall entzündbare Zündhölzli in runde Schachteln. Bildquelle: zvg/Gemeinde Kandergrund.
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Bild 9 von 9. Auffällig war die klare Arbeitsteilung zwischen Männer, Frauen und Kinder. Die Männer waren für das Tunken zuständig, stellten den Holzdraht her und verbackten die fertigen Schachteln. Die übrigen Arbeiten erledigten meist Frauen und Kinder. Bildquelle: zvg/Gemeinde Kandergrund.
Ein Teil der Arbeit, vor allem die Herstellung der Schachteln, machten die Leute bei sich zu Hause, als Heimarbeit. Manche Familie verarbeitete jährlich bis zu drei Baumstämme zu Zündholz-Schachteln.
In der Fabrik begann der Arbeitstag morgens um sechs Uhr, er dauerte gut und gerne 14 Stunden, alles für ein paar Rappen Lohn.
Die Leute erhielten das Geld nicht bar ausbezahlt, sondern waren gezwungen, ihr Guthaben im Verkaufsladen des Fabrikanten in Waren umrechnen zu lassen. Sehr oft bekamen sie nicht die gewünschten Lebensmittel und am Schluss machten sie beim Fabrikanten gar Schulden, weil sie mehr Lebensmittel brauchten, um die Familie zu ernähren, als sie zugute gehabt hätten.
So wurden Zündhölzer hergestellt
Die Arbeiterinnen und Arbeiter schnitten aus Tannenholz dünne Streifen, die aussahen wie Spaghetti. Sie schnitten sie in Zündholz-Länge, was eine gefährliche Arbeit war. Manche verloren durch das scharfe Beil einen oder zwei Finger.
So wurde die Zündholz-Schachtel hergestellt
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Bild 1 von 7. Wer tausend Schachteln herstellte, erhielt rund 70 Rappen (Jahr 1886). Um tausend Schachteln pro Tag herstellen zu können, musste die Person jedoch schon sehr geschickt sein. Bildquelle: zvg/Kulturstiftung Frutigland.
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Bild 2 von 7. Früher wurden die Schachteln in der Heimarbeit hergestellt. Das Holz einer Rottanne wurde in grossen Spalten nach Hause gebracht, in Bretter geschnitten und mit einer kleinen Hobelbank in Späne gehobelt. Bildquelle: zvg/Kulturstiftung Frutigland.
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Bild 3 von 7. Kinder nahmen die Späne ab und legten etwa 50 zu einem Bund zusammen. Dieser wurde auf einem Schneidstuhl in die richtige Länge geschnitten und «gstägelet.». Bildquelle: zvg/Kulturstiftung Frutigland.
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Bild 4 von 7. Aus den Spänen wurde einerseits die Schachtel geformt. Mit einem Mix aus Mehlpappe und Leim wurden sie in einer Klammer auf den Schieferofen gelegt oder an der Sonne getrocknet. Bildquelle: zvg/Kulturstiftung Frutigland.
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Bild 5 von 7. Andererseits wurden aus den Spänen Deckel und Böden ausgestampft. Kinder schoben diese dann in die Schalten ein – das «Bödelen.». Bildquelle: zvg/Kulturstiftung Frutigland.
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Bild 6 von 7. Die Deckel und Böden wurden mit dem Pinsel bestrichen. So waren sie einerseits festgeleimt, dienten andererseits als Zündfläche. Bildquelle: zvg/Kulturstiftung Frutigland.
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Bild 7 von 7. Die fertigen Spanschachteln wurden in Säcke verpackt und in die Fabriken gebracht, wo sie gefüllt wurden. Bildquelle: zvg/Kulturstiftung Frutigland.
Bevor die Hölzer in der giftigen, chemischen Brennmischung getaucht und verpackt wurden, mussten sie in Rahmen eingespannt werden. Das machten oft Kinder. Es hiess, sie könnten dies mit ihren kleinen Fingerchen besser machen.
Sie arbeiteten vor der Schule und holten die «verpasste» Zeit durch den Unterricht am Abend nach – bis zehn oder elf Uhr. Einige Kinder waren erst fünfjährig, bei der Heimarbeit wurden gar Kinder ab dem dritten Lebensjahr für kleine Hilfsarbeiten gebraucht.
Kinderarbeit und Krankheit
Gestört hat das damals nicht, wie der Autor Hans Egli bei seiner Archivarbeit herausgefunden hat. Erst in den 1870er-Jahren wurde die Kinderarbeit in den Zündholzfabriken verboten. «Dieses Verbot war aber umstritten, es sei der Untergang der Industrie, hiess es.» Das Gesetz wurde trotzdem angenommen. Kinderarbeit sei danach in Fabriken zwar die Ausnahme gewesen, nicht aber zu Hause. Da mussten die Kinder weiterhin hunderttausende Zündhölzer in Rahmen legen – Heimarbeit wurde nicht kontrolliert.
Gleichzeitig tauchte ein anderes Problem auf. Immer mehr Arbeiterinnen und Arbeiter hatten Problem mit ihrem Kiefer. Ihr Zahnfleisch entzündete sich, Zähne wurde locker, fielen aus oder man musste sie ziehen. Das schmerzte. «Die Leute müssen auch ganz fürchterlich gestunken haben, weil die Kieferknochen verfault waren», erzählt Hans Egli.
Weil sie den ganzen Tag mit dem giftigen Phosphordampf arbeiteten, erlitten viele von ihnen die Krankheit Phosphor-Nekrose – im Volksmund auch «Chiferfrass» genannt. Wurde die Krankheit vernachlässigt, griffen Eiterung und Entzündung auch auf andere Knochen über, was den Tod der Patientin oder des Patienten herbeiführte.
Die Leute müssen ganz fürchterlich gestunken haben.
Viele Betroffenen hatten jedoch kein Geld für einen Arzt, sie rissen die verfaulten Knochen selber aus. Einige liessen sich operieren, hatten danach aber Schulden.
Dasselbe eidgenössische Fabrikgesetz 1877, das Arbeiter, vor allem Frauen und Kinder besser schützte, sollte auch vor Phosphor schützen. Es half jedoch nicht wirklich, wie Egli erzählt. Im Gegenteil: Die Phosphor-Zündhölzer wurden einfach im Versteckten zu Hause hergestellt, wo die Arbeitsbedingungen noch prekärer waren als in den Fabriken.
In der Region gab es Kritik. Rund um das Jahr 1900 sagte der Frutiger Nationalrat Arnold Gottlieb Bühler im eidgenössischen Parlament: «Ich gehe gar so weit zu behaupten, dass es für unsere Gegend ganz offenbar ein Glück gewesen wäre, wenn diese Industrie nie zu uns gekommen wäre.»
Der gesetzliche Schutz der Arbeiterinnen und Arbeiter kam 1906. Es gab eine internationale Konvention zum Sozialschutz, die Phosphor-Zündhölzli verbot. Mehrere Staaten unterschrieben diese. «Das ist ein Schlüsselmoment in der internationalen Sozialgesetzgebung», sagt Bernhard Degen, Historiker an der Universität Basel. Lange habe man nicht auf die Gesundheit der Arbeiterinnen und Arbeiter geschaut.
«Die Berufskrankheiten gerieten erst dank den Fabrikinspektionen in den Fokus», so Degen. Es dauerte aber seine Zeit, bis sich diese Inspektoren eine Übersicht verschaffen konnten und die Autorität erhielten, durchzugreifen.
Der Zerfall der Zündholz-Industrie
Die Arbeitsbedingungen wurden zwar besser, die Konkurrenz aus dem Ausland aber immer grösser. Schweden war in der Industrie mit seinen Maschinen weit voraus, die grössten Fabriken gründeten mächtige Verbände, die sich gegen Ende des Ersten Weltkrieges mit amerikanischen Gesellschaften verbanden – eine mächtige Weltorganisation entstand. Auch Fabriken im Frutigtal wurden von den Schweden aufgekauft.
Dann kamen jedoch billige Importe aus Indien oder China und das Feuerzeug kam auf, was zum Niedergang der Zündhölzli-Industrie in Frutigen führte. 1972 machte die letzte Fabrik dicht. Im einstigen Zentrum der schweizerischen Zündholzfabrikation werden heute keinen «normalen» Zundhölzli mehr produziert. Eine einzige Firma existiert noch, sie produziert bengalische Stäbchen oder Wunderkerzen.
Ja I han es Zündhölzli azündt
Und das het e Flamme gäh
Und i ha für d'Zigarette
Welle Füür vom Hölzli näh
Aber ds Hölzli isch dervo-
Gspickt und uf de Deppich cho –
Gottseidank dass i's vom Deppich wider furt ha gno