Bereits der Februar spielte dieses Jahr verrückt. Temperaturen bis zu 18 Grad, Himmel und Schnee eingefärbt von gelblichem Saharastaub. In den Gärten und Wäldern blühten die Haselsträucher und kündigten bereits den Frühling an – rund zwei Wochen früher als noch vor 70 Jahren. In Lagen über 800 Metern über Meer betrug die Verfrühung gar 22 Tage. Dies belegen Messwerte seit 1951 aus 40 verschiedenen Messstationen in der Schweiz, welche SRF ausgewertet hat.
Die folgende Grafik zeigt den schweizweiten Durchschnitt aller Messstationen pro Jahr als rote Punkte und den Trend als rote Linie – in diesem Fall für die Blüte des Haselstrauches. Der Trend und der Durchschnitt der Messstationen (Punkte) nach Höhenlage sind blau eingefärbt. Die Grafik geht im Uhrzeigersinn von den 1950er-Jahren bis ins Jahr 2021. Je näher die Linie gegen die Mitte rückt, desto stärker verschiebt sich die Blütezeit in die Wintermonate – und desto früher beginnt für die Pflanze der Frühling.
Nicht nur die Blütenkätzchen des Hasels zeigen sich ungewohnt früh: Die meisten Pflanzen in der Schweiz erwachen immer früher aus dem Winterschlaf. Das dokumentiert der Frühlingsindex des Bundesamts für Meteorologie und Klimatologie Meteoschweiz. Er wird auf Basis des Hasels und neun weiteren typischen Frühlingspflanzen berechnet und gibt an, wie viele Tage der Frühlingsanfang vom Mittel der Vergleichsperiode (1981 - 2010) abweicht. Die neuesten Daten zeigen: Der Frühling 2021 war nur rund drei Tage früher und liegt damit innerhalb der normalen Abweichung. Aber die langjährige Entwicklung zeigt klar, dass der Frühling immer früher kommt.
Wie sich die Pflanzen entwickeln, hängt hauptsächlich von den vorherrschenden Temperaturen ab. Sobald es im Frühjahr genügend warm ist, fahren sie ihre Systeme hoch, bilden Blüten oder beginnen mit dem Blattaustrieb. Das Beispiel der Haselblüte zeigt, dass die erforderlichen Temperaturen heute rund zwei Wochen früher erreicht werden als noch vor 70 Jahren. Dass Pflanzen immer früher ihre Winterruhe beenden, ist eine Reaktion auf die steigenden Temperaturen in ihrer Umwelt. Die Messreihen sind deshalb ein wichtiger Indikator für den Klimawandel und machen dessen lokale Auswirkungen deutlich.
Die Pflanzenwelt kennt aber auch Schutzmechanismen. Sie wirken, zumindest teilweise, als Bremse der gezeigten Entwicklung. Die Buche etwa orientiert sich am Tageslicht. Erst, wenn auch die Tage genug lang sind und genügend Sonnenlicht vorhanden ist, beginnt sie mit der Entwicklung ihrer Blätter. Bei den Messwerten der Buche fällt daher der Unterschied nicht so deutlich aus wie beim Hasel:
Tiere und Pflanzen bilden komplexe ökologische Beziehungen. Wenn die Pflanzen immer früher Blüten austreiben, verändern sich auch das Frostrisiko und die Pollensaison. Über Jahrhunderte eingespielte Abläufe der Natur geraten durcheinander und Beziehungen zwischen verschiedenen Arten werden gestört.
Nehmen die Frostschäden zu?
Auch die Buche ist trotz natürlicher Schutzmechanismen von den Folgen betroffen. Das zeigt ein Beispiel aus dem letzten Jahr: Nachdem die Buchen ausserordentlich früh ihre Blätter ausbildeten, gab es am 11. Mai nochmal Frost in hohen Lagen. Die Rotbuchen auf dem Weissenstein (1380m) verloren ihr junges Blattwerk an die eisigen Temperaturen und blieben bis Ende Juni komplett kahl. «Auch die zweite Generation der Blätter entwickelte nur etwa 50 bis 70 Prozent der üblichen Blattoberfläche» so Frederik Baumgarten von der eidgenössischen Forschungsanstalt WSL. Er hat die Buchen zu dieser Zeit intensiv untersucht. «Es war, als würde man durch einen Herbstwald gehen.»
Mit dem Klimawandel steigen zwar auch die Mindesttemperaturen, aber nicht genug, um mit der früher spriessenden Pflanzenwelt Schritt halten zu können. In hohen Lagen steigt damit das Risiko für Frostschäden, wie eine Studie aus dem Jahr 2017 bestätigt.
In den Daten lässt sich auch eine Verfrühung bei den Obstkulturen feststellen. Das weisse Blütenmeer der heimischen Obstbäume entfaltet sich rund zwei Wochen früher als noch Mitte des letzten Jahrhunderts, in den Rebbergen entwickeln sich die Blüten sogar rund drei Wochen früher.
Während und kurz nach der Blüte sind die Kulturen am anfälligsten für Frostschäden. Da mit Frost grundsätzlich bis im Mai zu rechnen ist, steigt das Risiko für Frostschäden und Ernteausfälle. «In den vergangenen fünf Jahren hatten die Obstproduzentinnen viermal gegen Frostereignisse zu kämpfen», schreibt der Schweizerische Obstverband auf Anfrage.
Je nach Region und lokaler Topographie spielen aber andere Faktoren eine Rolle: «Das Risiko hängt auch vom Mikroklima ab, den Sorten, der Struktur wie Ausrichtung und Alter der Anlage», so Sibylle Stöckli vom Forschungsinstitut für biologischen Landbau.
Aber nicht nur Spätfröste setzen dem Obst zu, sondern auch verschiedene Schadinsekten. Die wärmeren Frühlingstemperaturen verlängern ihre Flugsaison und damit das Risiko eines Befalls. Zum Beispiel der Apfelwickler, einer der bedeutendsten Schädlinge im Obstbau. Wissenschaftlerinnen von Agroscope und Meteoschweiz prognostizieren ab 2045 eine fünf Wochen längere Saison und drei anstelle von zwei Generationen ausgewachsener Schädlinge pro Saison.
Pollensaison kommt immer früher
Mit der Blüte des Haselstrauches beginnt nicht nur der Frühling in der Pflanzenwelt, sondern auch die Leidenszeit der Allergiker. Die Winterruhe verkürzt sich also auch für sie. Auch die Hängebirke, deren Pollen viele Allergikerinnen stark belasten, blüht tendenziell zwölf Tage früher im Jahr - alleine seit den ersten Messungen 1996.
Eine kürzlich veröffentlichte Studie zeigt zudem, dass sich nicht nur der Saisonanfang Richtung Winter verschiebt, sondern sich die Saison für Hasel- und Birkenpollen intensiviert, beim Hasel gar verlängert. Der Klimawandel manifestiert sich somit einmal mehr als Belastung für die öffentliche Gesundheit und besonders für die Lebensqualität der betroffenen Allergiker.
Auswirkungen auf Biodiversität
Verschiebt sich der Zeitpunkt von Blüten- und Blattentfaltung, hat das auch Einfluss auf das Zusammenleben der verschiedenen Tier- und Pflanzenarten. Verpassen sich beispielsweise Bestäuber und Blüten, bleibt einerseits die Bestäubung aus, andererseits fehlen Futterquellen für die bestäubenden Insekten. Das schreibt das Bundesamt für Umwelt in einem Faktenblatt zum Thema Biodiversitätsmanagement. Oder Rehkitze finden zunehmend weniger Nahrung, weil ihr Futter immer früher wächst, ihr Geburtszeitpunkt sich aber immer noch am Tag-Nacht-Rhythmus orientiert.
Der Einfluss auf die ökologischen Beziehungen ist schwer abzuschätzen. «Einige Arten sind sehr anpassungsfähig und kommen als Generalisten mit vielen Bedingungen zurecht. Andere Arten sind weniger anpassungsfähig, weil sie auf spezifische Wirtspflanzen angewiesen sind», so Sibylle Stöckli.
Rehe können weiter in die Höhe wandern und ihre Jungen dort gebären, wo sie noch genügend Futter finden. Für andere Arten ist das schwieriger, unter anderem auch, weil sich das Klima zu schnell verändert. Zudem seien es oft auch invasive, gebietsfremde Arten, die sich schnell anpassen könnten und damit einheimische Arten verdrängen würden, so Stöckli weiter.
Vergleichen Sie alle Pflanzen und Standorte
Im phänologischen Beobachtungsnetz von Meteoschweiz, aus dem die Daten stammen, sind langjährige Messreihen für rund ein Dutzend für verschiedene Pflanzen enthalten. Im Folgenden können Sie Frühjahrs-Pflanzen und deren Blütenzeitpunkte oder Blattaustrieb auswählen und den Schweizer Schnitt mit einzelnen Messstationen vergleichen. Eine Trendlinie erscheint nur, wenn sich aus den Messwerten auch tatsächlich ein Trend berechnen lässt.