Es kriselt am Kantonsgericht Graubünden. Im vergangenen Jahr eskalierte die Situation. Nun ist die Kommission für Justiz und Sicherheit (KJS) des Grossen Rats eingeschritten und hat ein Gutachten von zwei Rechtsprofessoren vorgelegt.
Dieses kommt unter anderem zum Schluss, dass Betroffene teils mehrere Jahre auf ein Urteil warten müssen.
Riesiger Pendenzenberg
«Das Kantonsgericht schiebt einen Berg von Fällen vor sich her», umschreibt Kommissionsmitglied Julia Müller die Lage. Seit 2011 sind die Pendenzen stetig gestiegen und haben sich seit 2014 praktisch verdoppelt.
Das Kantonsgericht schiebt einen Berg von Fällen vor sich her.
Die beiden Professoren haben verschiedene Gründe identifiziert und orten Versäumnisse bei der Politik: Erst seit 2017 habe das Gericht genügend Richter. Unterdotiert seien nach wie vor die Gerichtsschreiber. Auch fehle es an einer Möglichkeit, ausfallende Richter kurzfristig zu ersetzen.
Führungsprobleme und Ineffizienz
Die Gutachter üben auch Kritik an Gerichtspräsident Norbert Brunner. Er habe zwar mehrfach versucht, das Problem in den Griff zu bekommen. Die Massnahmen hätten aber «nicht die gewünschte Wirkung erzielt». Will heissen: Die Richterkollegen setzten diese nicht um.
Hier orten die Gutachter ein Führungsproblem. Es fehle an einem gemeinsamen Verständnis, wie das Gericht effizient arbeiten könne. Man empfehle deshalb ein Team-Coaching unter externer Führung.
Wenn der Gerichtspräsident «anpasst»
Spannungen gibt es seit Längerem. Vor einem Jahr eskalierten sie zu einem Streit in einem Urteil zu einer Erbschaft. Richter Peter Schnyder warf Gerichtspräsident Norbert Brunner vor, dieses nachträglich abgeändert zu haben.
Die Justizkommission hat die Vorwürfe untersucht. Präsident Ilario Bondolfi sagt heute: «An diesem Fall haben sich exemplarisch Schwächen der Justizverwaltung und der Geschäftsführung des Kantonsgerichts gezeigt.»
So gebe es am Bündner Kantonsgericht die Praxis, nachträglich Urteile anzupassen, das sei «höchst problematisch», sagt Bondolfi. Im konkreten Fall fehle auch ein Protokoll der Urteilsberatung, und die betroffenen Parteien seien nicht informiert worden.
An diesem Fall haben sich exemplarisch Schwächen der Justizverwaltung und der Geschäftsführung des Kantonsgerichts gezeigt.
Die Justizkommission habe deshalb dem Kantonsgericht die Weisung erteilt, dass ein Urteil vom «gesamten zuständigen Richtergremium beschlossen werden muss».
Brunner verliert Immunität
Die Kommission hat zudem ein Disziplinarverfahren gegen den Gerichtspräsidenten Norbert Brunner eröffnet und die Involvierten befragt.
Ein Fehlverhalten von Gerichtspräsident Brunner im Sinne einer Urkundenfälschung kann nicht ausgeschlossen werden.
Kommissionsvizepräsident Felix Schutz sagt dazu: «Aufgrund der Befragungen kommt die KJS zum Schluss, dass ein strafrechtlich relevantes Fehlverhalten von Gerichtspräsident Brunner im Sinne einer Urkundenfälschung im Amt nicht ausgeschlossen werden kann.»
Die KJS hat deshalb die Immunität des Gerichtspräsidenten aufgehoben. Die Staatsanwaltschaft ermittelt. Das Disziplinarverfahren läuft noch.
Schnyder nicht mehr zu Wahl empfohlen
Abgeschlossen ist dafür ein anderes Verfahren gegen Kantonsrichter Peter Schnyder, dessen Amtsenthebung die anderen Richter gefordert hatten, weil eine Zusammenarbeit nicht mehr möglich sei. Diesen Eindruck bestätigt nun die KJS.
Eine Amtsenthebung lehnt die Justizkommission aber ab. Sie spricht einen Verweis aus und empfiehlt dem Parlament einstimmig, Schnyder nicht mehr zu wählen.
Das Bündner Kantonsgericht steht also vor einem Scherbenhaufen. Auch gegen zwei weitere Richter laufen Verfahren.