- Jede zweite Woche stirbt eine Person in der Schweiz wegen Häuslicher Gewalt.
- Abgeänderte Gesetze sollen Opfer nun besser schützen.
- Die Strafbehörden erhalten neu mehr Kompetenzen.
- Die meisten Verfahren enden ohne Schuldspruch.
Überforderung. So erklärt der Mann, warum er in seiner Ehe zuschlug, statt nach anderen Lösungen zu suchen. Sein Gesicht will er der Öffentlichkeit nicht zeigen.
Doch in der «Rundschau» erklärt er, warum er gegenüber seiner damaligen Ehefrau immer wieder gewalttätig wurde. «Ich bin klar der Täter», sagt der Vater dreier Kinder. Doch er sei auch Opfer gewesen, ein Opfer verbaler Gewalt.
Täter fühlte sich in die Enge getrieben
Seine Frau habe ihn häufig kritisiert. «Am Abend warf sie mir oft vor, was ich alles falsch gemacht habe. Wenn ich etwas sagen wollte, hatte ich keine Chance. Ich fühlte mich in die Enge getrieben. Sie schwieg erst, wenn ich sie schlug.»
Seelsorge, Ehetherapie – nichts fruchtete. Die Gewaltspirale drehte sich immer schneller. Die Kinder mittendrin. Nach einem erneuten Streit verletzte er sie. Die Polizei wurde eingeschaltet. Die Kesb. Er meldete sich freiwillig in einem Lernprogramm an.
Verfahren enden ohne Schuldspruch
In diesen Kursen sollen Männer lernen, Probleme in Paarbeziehungen oder in der Familie anders zu lösen als mit Gewalt. Im 2018 registrierte die Polizei in der Schweiz 18'522 Straftaten im Bereich häusliche Gewalt. Doch nur wenige Gewalttäter besuchten in der Schweiz einen solchen Kurs. Ein Grund: Viele Verfahren enden ohne Schuldspruch.
Das soll sich mit der neuen Gesetzgebung ändern. Ab 1. Juli erhalten die Strafbehörden mehr Handlungsspielraum. Unter anderem können sie die Gewalttätige früher zu solchen Lernprogrammen verpflichten – nicht erst nach einer Verurteilung.
Jessica Renno leitet als Gewaltberaterin solche Lernprogramme für gewalttätige Männer im Kanton Bern. «Es gibt kein typisches Täterprofil», sagt sie.
Patriarchalisches Elternhaus als Gefahr
Gewisse Auffälligkeiten kämen häufiger vor, wie etwa Leute mit ADHS sowie Männer, die eine Partnerin mit einer Borderline-Störung haben oder aus einem patriarchalisch geprägten Familienstrukturen kommen.
Bei Migranten kommen oft ein anderes Männerbild, Kriegstraumata oder auch erschwerte sozioökonomische Bedingungen hinzu.
Unter häusliche Gewalt fallen schwere Delikte wie Nötigung oder versuchte Tötung ebenso wie Beschimpfungen, Handy kontrollieren oder Konto sperren.
Dreiviertel der beschuldigten Personen sind Männer. Ausländer sind dabei überproportional vertreten. «Auch Schweizer Männer sind gewalttätig. Bei Migranten kommen aber oft ein anderes Männerbild, Kriegstraumata oder auch erschwerte sozioökonomische Bedingungen hinzu. Das erzeugt Stress und kann das Gewaltrisiko erhöhen.»
Auswertungen belegen, dass die Lernprogramme ein wirksames Mittel sind, Gewalt in Paarbeziehungen stoppen. Mit den Tätern arbeiten, um Opfer zu schützen. So erklärt Gewaltberaterin Jessica Renno den Sinn dieser Kurse.
Meistens verordnen die Behörden, wie die Kesb, die Staatsanwaltschaft oder das Migrationsamt, die Gewalttäter zu einem solchen Programm. Sie können vom Kurs etwa auch das Besuchsrecht oder Aufenthaltsrecht abhängig machen.
Gewalt ohne Konsequenzen
Der Gewalttäter, der in der «Rundschau» zu Wort kommt, hat sich freiwillig für ein Lernprogramm angemeldet. Viel zu lange glaubte er, sie schafften es ohne Hilfe, sagt er. Bis es immer mehr eskalierte. «Ich habe meine Gefühle lange Zeit nicht verbalisieren können.»
Schlagen statt sprechen. Im Lernprogramm habe er gelernt, Verantwortung und zu übernehmen und Verhaltensmuster seit seiner Kindheit zu reflektieren. Er lebt nun von seiner Frau getrennt. Sie hat die Anzeige zurückgezogen.