Der Mann aus Solothurn und seine Frau, ursprünglich Marokkanerin, sind seit 2010 verheiratet. Sie haben zwei Kinder, ein Einfamilienhaus, er arbeitet in leitender Stellung in einer grossen Firma. Regelmässig besucht die Familie ihre Verwandtschaft in Marokko. Doch ein Gegenbesuch der 23-jährigen Schwester der Frau ist unmöglich. Die Schweiz verweigert ihr das Visum.
Trotz Unterlagen kein Visum
Die Idee war, dass die junge Frau 14 Tage Ferien im Kanton Solothurn macht, um zu sehen, wie ihre Schwester hier lebt. Für den Visumsantrag ging das Schweizer Paar mit ihr auf die Schweizer Botschaft in der marokkanischen Hauptstadt Rabat. Nebst dem Visumsantrag reichten sie ein Einladungsschreiben ein mit Begründung, einer Studienbestätigung der marokkanischen Universität und Angaben zur Reiseversicherung. Der Antrag wurde abgelehnt. Es bestehe das Risiko, dass die Frau die Schweiz nicht fristgerecht verlasse.
Jung, ledig, Studentin und nicht reich = kein Visum
Die Familie legte Einspruch ein beim Staatssekretariat für Migration SEM. Dafür verlangte das Migrationsamt des Kantons Solothurn weitere Unterlagen: «Eine Bestätigung, dass wir die Steuern immer bezahlen, eine Verpflichtungserklärung über 30'000 Franken, dass man für die Besucherin aufkommt, Lohnauszüge und einen Betreibungsregisterauszug.» Kosten: 300 Franken.
Das Risiko einer nicht fristgerechten und anstandslosen Rückkehr muss als grundsätzlich sehr hoch eingestuft werden.
Das SEM wies die Einsprache ab. Die Botschaft habe korrekt entschieden. Begründet wird dies im schriftlichen Entscheid einerseits mit der Situation in Marokko: Arbeitslosigkeit unter den Jungen, Armut, hoher Auswanderungsdruck: «Das Risiko einer nicht fristgerechten und anstandslosen Rückkehr muss als grundsätzlich sehr hoch eingestuft werden.»
Auch die persönliche Situation der jungen Frau spricht für das SEM gegen ein Visum: «Die Gesuchstellerin ist jung, ledig und hat keine Kinder, so dass sie keine Verpflichtungen gegenüber einer eigenen Familie hat. (…) Als Studentin ist sie so ungebunden, wie kaum mehr im späteren Leben. (…) Sie verfügt über kein eigenes Einkommen.» Und der Vater habe nur wenig Geld auf dem Konto.
Und was ist mit all den Unterlagen und Garantien der Familie?
Das SEM schreibt in einer Stellungnahme, bei einem Visumsantrag seien gemäss Schengener Visakodex zwei Faktoren massgebend: «Erstens die allgemeine Lage in einem Land und zweitens die persönliche Situation der Gesuchsteller, insbesondere deren Verpflichtungen im Heimatstaat, die Gewähr für eine Rückkehr in den Heimatstaat bieten.»
Gastgeber können nicht für ein bestimmtes und allenfalls unerwartetes Verhalten ihres Gastes garantieren.
Zusicherungen von Gastgebern könnten an dieser Einschätzung nichts ändern: «Gastgeber können zwar für gewisse finanzielle Risiken im Zusammenhang mit dem Besuchsaufenthalt, aber auch bei bester Absicht und unzweifelhafter Seriosität nicht für ein bestimmtes und allenfalls unerwartetes Verhalten ihres Gastes garantieren.» Eine Garantie für die rechtzeitige Rückreise sei rechtlich nicht durchsetzbar.
«Bitte ersparen Sie sich den Aufwand»
Für die Solothurner Familie ist der Entscheid ein riesiger Frust. Sie fragt sich, wozu sie denn den ganzen Aufwand betreiben musste und von den Behörden durchleuchtet wurde, wenn dies am Ende doch nichts zählt für ein Visum. «Man fühlt sich ohnmächtig», sagt der Familienvater. Im Prinzip könne die Schweizer Botschaft in Rabat Folgendes auf ihre Homepage setzen: «Bitte ersparen Sie sich den Aufwand, wenn Sie weiblich sind, Studentin und kein Geld haben. Dann müssen Sie gar nicht erst einen Visumsantrag stellen.»