- Unter den Opfern sind Juden, Widerstandskämpfer, Roma, Sinti oder Homosexuelle. Vorwiegend Schweizer, die im Ausland lebten.
- Der Rat der Auslandschweizer stimmte kürzlich über eine Gedenkstätte für die Schweizer Opfer der Nazis ab.
- Verschiedene Historiker unterstützen die Idee, fordern vorher aber eine kritische Aufarbeitung und stellen heikle Fragen.
Albert Mülli ist eines der Opfer. Der Schweizer wurde 1938 in Wien wegen seiner Aktivität als politisch Linker in Haft genommen. Drei Jahre hat er im Konzentrationslager Dachau gelitten. In einer Schachtel im Archiv für Zeitgeschichte der ETH lagert sein KZ-Hemd. Mülli hat überlebt. Rund 200 andere Schweizer starben in den Konzentrationslagern der Nazis.
Beispielsweise die Mutter Selma Rothschild und ihre Kinder Jula und Frédéric Rothschild. Schweizer Juden, die in Frankreich lebten. Als die Gestapo sie festnahm, baten sie die Schweizer Botschaft in Paris um Hilfe. Nichts geschah. Nur wenige Tage später wurden sie nach Ausschwitz deportiert und starben dort 1942.
Betroffene fanden keine Lobby
Hätte die Schweizer Botschaft in Paris die Familie damals retten können? Hat sie alles versucht, was in ihrer Macht lag? Historiker wie der ehemalige Mitarbeiter der Bergier-Komission, Jacques Picard, fordern, der Bund müsse diese kritischen Fragen systematisch untersuchen: «Es geht nicht nur um die Aufarbeitung der Einzelfälle. Es geht auch um die politische Dimension. Wie haben sich die Diplomatie und das Aussendepartement für ihre Auslandschweizer, die in Not waren, eingesetzt.»
Die Ereignisse liegen über 70 Jahre zurück. Warum wurden diese Schicksale nicht schon längst untersucht und diese Fragen gestellt? Gregor Spuhler, Leiter des Archivs für Zeitgeschichte der ETH, erklärt es so: «Die Betroffenen sind eine sehr heterogene und eher kleine Gruppe. Juden, Roma, Sinti, Widerstandskämpfer, Homosexuelle, Prostituierte. Für sie gab es bisher keine Lobby.»
Liste mit Namen der Opfer geplant
Seit einigen Monaten widmen sich nun Einzelprojekte der Thematik. Die Journalisten Balz Spörri, René Staubli und Benno Tuchschmid wollen 2019 ein Buch dazu publizieren .
Christina Späti, Professorin der Universität Freiburg, möchte eine umfassende Liste aller Opfer zusammenstellen und ins Netz stellen. Sie erklärt: «Im Gegensatz zu den meisten europäischen Ländern gibt es hierzulande weder eine Liste, welche die Opfer erfassen würde, noch eine Erinnerungskultur, die diesen Schicksalen über den Einzelfall hinaus Bedeutung zumessen würde.»
Die Organisation der Auslandschweizer hat aus diesem Grund am Freitag an ihrer Versammlung beschlossen, sie wolle ein Denkmal. Remo Gysin ist Präsident der Auslandschweizer. Er setzt sich auch ein für die rund 1000 Schweizer, die in den Konzentrationslagern der selbsternannten Herrenmenschen, der Nazis, leiden mussten.
Diese Opfer sollen nicht vergessen werden. Da braucht es meines Erachtens unbedingt eine Gedenkstätte, eine Erinnerung daran.
Es sei ein historisch einmaliges Ereignis gewesen, sagt Gysin, das schlimmste Kapitel der jüngeren Schweizer Geschichte. Und es seien Schweizer in grosser Zahl davon betroffen. «Diese Opfer sollen nicht vergessen werden. Da braucht es meines Erachtens unbedingt eine Gedenkstätte, eine Erinnerung daran.»
Remo Gysin hat auch schon Ideen, wo das Denkmal stehen könnte: «Ich könnte mir vorstellen, dass es irgendwo zentral sichtbar zum Beispiel in Bern oder in Genf eine kleine Gedenkstätte gibt, wo daran erinnert wird, was zwischen 1933 und 1945 passiert ist.»
Erste Signale vom Bund als «Ermutigung»
Mitmachen müsse auch die offizielle Schweiz. Aussenminister Ignazio Cassis, sagt Gysin, habe Sympathien für das Vorhaben. Cassis biete den Auslandschweizern an, das Wissen der Historiker beim Bund zu nutzen. Cassis' Departement bestätigt, dass sein historischer Dienst Nachforschungen zu den Schweizer Nazi-Opfern unterstützt.
Ob es darüber hinaus Hilfe vom Bund gibt, ist offen. Wünschen würde sich Gysin natürlich noch mehr: «Ich glaube, der Bund kommt nicht darum herum, sich ideell, vielleicht auch mehr, hinter dieses Projekt zu stellen. Und es ist wirklich eine Ermutigung, das erste Signal, das wir empfangen haben.»