SRF News: Wie sind heute die Beziehungen zwischen den Kosovo-Albanern in der Schweiz und ihren Landsleuten?
Enver Robelli: Die sind sehr eng. Das sieht man auch daran, dass Kosovos Hauptstadt Pristina täglich oder fast täglich von Zürich, Basel oder Genf angeflogen wird. Die Verbundenheit bleibt, weil ein Teil der Familie in der Heimat lebt und unterstützt wird.
Auffallend ist auch – ich formuliere es etwas böse – dass der Import der Schwiegersöhne, der Bräute aus Kosovo merklich nachlässt.
Hat sich in diesen Beziehungen mit der Zeit etwas geändert?
Die Beziehungen entspannen sich, weil Kosovo jetzt frei ist. Die junge Generation hat auch einen gesunden Abstand zur Heimat. Sie verklären diese nicht mehr so, wie das ihre Eltern tun. Viele Junge fahren zwar noch für ein Wochenende nach Pristina. Aber nicht, um ihre Familie zu treffen, sondern um beispielsweise die spannende Musikszene zu erleben.
Auffallend ist auch – ich formuliere es etwas böse – dass der Import der Schwiegersöhne, der Bräute aus Kosovo merklich nachlässt. Die Jungen wollen keine Sozialfälle importieren. Es ist schwierig, jemanden in den Arbeitsmarkt zu integrieren, wenn die Person mit 26 oder 30 Jahren hierherkommt und oft schlecht ausgebildet ist.
Ständig Geld schicken hat natürlich Nachteile, weil die Leute keine Eigeninitiative entwickeln.
Trotz mehr Abstand – die Diaspora sendet viel Geld an die Familie in Kosovo.
Ich glaube, die zweite Generation wird das Spiel noch ein bisschen mitmachen und Geld schicken, die dritte Generation wird wahrscheinlich nicht einmal im Sommer Urlaub in Kosovo machen. Aber es ist nach wie vor so: Das Geld von hier ist wichtig, denn Kosovo ist das Armenhaus Osteuropas. Ständig Geld schicken hat natürlich Nachteile, weil die Leute keine Eigeninitiative entwickeln. Sie denken, wenn mir der reiche Bruder in Bern monatlich 300 Franken schickt, kann ich damit in Kosovo relativ gut leben. Dieses Abhängigkeitsverhältnis ist tödlich für die Entwicklung des Landes.
Wie geht man in der Diaspora mit dieser Erwartungshaltung um?
Immer kritischer. Es hat sich viel verändert. An der Migros-Kasse zu arbeiten war in den 80er-Jahren vielleicht der Traumjob vieler Kosovaren. Heute sind sie gut ausgebildet, machen Karriere. Dadurch wird auch die Kritik an den Missständen in der Heimat grösser. Vor allem an den Warlords, die das Land nach dem Krieg gnadenlos ausgeplündert haben. Das macht die Leute hier wütend. Viele wollen etwas verändern. Da ist eine unglaubliche Dynamik zwischen der Diaspora und den Kosovaren, die in der Heimat zurückgeblieben sind. Die Diaspora spielt auch politisch eine wichtige Rolle.
Es gibt einen Trend, dass die Diaspora beginnt, in der Heimat zu investieren. Wie beurteilen sie das?
Das ist sehr gut, weil die Diaspora eine andere Arbeitsethik in die Region bringt. So sehen die Menschen dort, dass man mit zielgerichtetem Engagement etwas erreichen kann.
Wenn sich aber politisch etwas im positiven Sinne ändert, kann das eine unglaubliche Dynamik auslösen.
Wie sehen die Beziehungen der Diaspora und der Landsleute in fünf Jahren aus?
Es hängt viel von den politischen Entwicklungen in Kosovo ab. Wenn Kosovo weiterhin ein nicht funktionierender Staat ist, wenn die politischen Spannungen, die Polarisierungen weitergehen, wird das vermutlich eher zu einer Entfremdung führen. Es lohnt sich nicht, in die alte Heimat zu investieren.
Wenn sich aber politisch etwas im positiven Sinne ändert, kann das eine unglaubliche Dynamik auslösen. Viele Leute werden versuchen, dort etwas aufzubauen. Kommt dazu, dass man mit dem Flugzeug in zwei Stunden in Pristina ist, ein Katzensprung.
Das Gespräch führte Aleksandra Hiltmann