- Wer jünger ist als 18 Jahre, darf nicht heiraten – in diesem Punkt ist das Schweizer Gesetz eindeutig.
- Und trotzdem werden jedes Jahr Dutzende Eheschliessungen in der Schweiz anerkannt, bei der einer der Ehepartner, meistens die Frau, noch minderjährig war.
- Damit sende die Schweiz ein falsches Signal, warnt die Geschäftsleiterin der Fachstelle Zwangsheirat.
Jede Woche melden sich bei der überregionalen Fachstelle Zwangsheirat ein oder zwei Personen, die als Minderjährige geheiratet haben. 119 waren es letztes Jahr, vor allem Frauen.
Sie wollen wissen, wie sie aus dieser Ehe wieder wegkommen, suchen manchmal auch Schutz, weil sie Angst vor der Reaktion von Familienmitgliedern haben. Gemäss der Fachstellenleiterin Anu Sivaganesan wohnen die Betroffenen in der Schweiz. Ihre Wurzeln haben sie aber im Ausland, vor allem im Westbalkan, der Türkei, Sri Lanka und immer öfter auch in afrikanischen Staaten.
Vor Gesetz eigentlich ungültig
Solche Ehen, bei denen einer der Ehegatten minderjährig ist, müssten in der Schweiz eigentlich von Gesetzes wegen für ungültig erklärt werden. Dies geschehe aber praktisch nie, kritisiert Anu Sivaganesan: «Wir haben in der Schweiz eine automatische Anerkennung von Kinder- und Minderjährigenheiraten, sobald man volljährig wird.»
Das nützten viele Familien bewusst aus – indem sie den Behörden in der Schweiz die Ehe erst meldeten, wenn die Braut volljährig geworden sei. Normalerweise wird die Ehe dann offiziell anerkannt.
Keine gesamtschweizerischen Zahlen
Diese Praxis bestätigt Markus Stoll vom Gemeindeamt Zürich: «Massgebend ist nicht das Datum des Eheschlusses, aber das Datum der Beurteilung. Bekommen wir Urkunden vorgelegt von einer Minderjährigen-Ehe und die betroffenen sind schon volljährig, müssen wir die Eheschliessung akzeptieren, solang es keine Zwangsehe ist.»
Gesamtschweizerische Zahlen gibt es nicht. Aus dem Kanton Zürich ist aber bekannt, dass in den Jahren 2015 bis 2017 insgesamt über 280 Minderjährigen-Ehen offiziell anerkannt wurden.
Warum akzeptiert die Schweiz solche Ehen?
Die jüngste Braut war bei der Heirat gerade mal 13 Jahre alt. Warum legitimiert die Schweiz nachträglich eine Heirat, die in der Schweiz so nie geschlossen werden dürfte? Minderjährigen-Ehen seien eben im Ausland eine Realität, so Markus Stoll: «Früher war es möglich, als Italienerin mit 15 Jahren zu heiraten. Dann kommt zum Beispiel die Person in die Schweiz und möchte sich vielleicht mit 40 Jahren einbürgern lassen. Dann müssen wir eine Ehe, die vor so vielen Jahren geschlossen wurde als Minderjährigen-Ehe verweigern. Das wäre stossend.»
Die Behörden nehmen deshalb laut Stoll in jedem Einzelfall eine Interessenabwägung vor: Hat die als Minderjährige verheiratete Frau ein Interesse, die Ehe weiter zu führen, zum Beispiel, weil sie schwanger ist oder bereits ein Kind bekommen hat?
Eine Rolle spiele auch der Altersunterschied, und welches die Motive für die Heirat seien. Nicht jede Minderjährigen-Heirat sei auch eine Zwangs-Heirat, so Markus Stoll.
Anu Sivaganesan von der Fachstelle Zwangsheirat ist aber überzeugt: Ein Kind könne den Entscheid, zu heiraten, gar noch nicht wirklich selbstbestimmt treffen.
Sie fordert deshalb: Die Schweiz müsse alle Ehen mit Minderjährigen grundsätzlich verbieten – alles andere sei schon fast zynisch: «Wir sagen ja immer, dass es die minderjährigen Personen sind, die einen besonderen Schutz brauchen. Stellen Sie sich vor, dass die Person 9-jährig war und dann verheiratet wurde. Weil sie jetzt 18-jährig ist, sagt die Schweiz, dass die Ehe gültig sei, weil die Person jetzt volljährig ist. Was für ein Signal sendet der Staat dadurch?»